Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Durchblick (5): Quarantäne für Konzertbesucher

Hallo, hat da eben jemand gehustet? Weg mit ihm in Quarantäne! Spastische Bronchitis und Lungenentzündung waren einmal. Heute ist Corona. Schon beginnt die von sozialen Medien hysterisierte Nation, Überlebenswichtiges wie etwa Toilettenpapier zu bunkern, schon führt das Gesundheitsministerium Regularien ein, um Deutschland vor der globalen Viren-Pandemie zu schützen. Dabei sitzen die schlimmsten Huster nicht in den Fliegern aus Peking oder Hongkong und auch nicht in den Zügen aus der Lombardei. Sondern gleich hier bei uns vor der Haustür. Verkleidet als sozial gut gestellte, intellektuell überdurchschnittlich ausgestattete Bildungsbürger, sitzen die schlimmsten Husteninfizierten absurderweise dort, wo nicht gehustet werden darf: im klassischen Konzert.

Herr Spahn sollte, wenn er wirklich mal CDU-Vorsitzender werden will, seine Corona-Spione in einen Konzertsaal schicken. Klar, da müssten sie erst einmal diese Rituale ertragen. Stillsitzen, klatschen, zuhören, ohne zwischendurch das Handy zu benutzen. Aber dann. Kaum senkt der Dirigent zwischen den Sätzen einer Sinfonie den Stab, kaum platziert der Pianist während einer Satzpause die Hände auf seiner Hose, schon setzt das Publikum dem Geordneten das Unordentliche entgegen, schon gilt die Devise: Musik aus, Lärm an. Während die Instrumente tönen, betätigen sich die Zuhörer stumm als eifrige Schleimsparer in Lauerstellung. Und sobald es auf der Bühne leise wird, setzt sich die Spezies der intermittierenden Klassikhuster schniefend, schnaufend, räuspernd und bellend im Saal in Szene. Gefühlt leidet bei nasskalter Witterung der halbe Saal unter Corona, und es ist ernsthaft anzunehmen, dass die andere Hälfte das Virus in sich trägt, ohne es zu wissen.

Also ab in Quarantäne mit den Konzertbesuchern! Wie wäre es in Stuttgart zum Beispiel, den Bereich rund um die Liederhalle hermetisch abzuriegeln, das Multiplex-Kino gleich dazu, damit genug Platz ist für alle klassikaffinen Zuhörer und alle Musiker der Region. Der Italiener gegenüber übernähme sicher gerne das Catering, und wer könnte sich kompetenter um das medizinisch Notwendige kümmern als die Mitglieder des Ärzteorchesters? Im Quarantänebezirk fänden Musikkurse ebenso statt wie spontane Sessions, mindestens ein neues Laienorchester würde gegründet, vielleicht sogar eine Kulturzeitung, die dann wirklich alle lesen würden, weil es sonst ja nichts zu lesen gäbe. Und die besten Huster würden A-Cappella-Hust-Ensembles gründen. Zum Beispiel eine Girl Group: die Tussis.

Nach zwei Wochen Quarantäne wäre eine hochmusikalische Kompetenztruppe vollständig entschleimt und durchmusikalisiert. Das wären dann diejenigen, die, endlich!, den Bau eines neuen Konzertsaals in der Landeshauptstadt durchsetzen würden. Und diesen Konzertsaal brauchen wir ja spätestens bei der nächsten Epidemie. Herr Spahn, übernehmen Sie!

Susanne Benda


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Das Herbsträtsel: Wo komme ich vor?
    Ich bin nur ein Bleistift. Meine Besitzerin hat mich einem jungen Mann ausgeliehen, hier im Sanatorium in der Schweiz.
  • Heinzes Sommergeschichte
    Petra Heinze studierte mal im früheren Westberlin. Nach dreißig Jahren in Baden-Württemberg lebt sie heute erneut in Berlin. Das ist jetzt ein riesiger Moloch mitten im Osten der Republik. Diesen Osten lernt sie nun kennen und lieben.
  • Die Kesseltöne lesen Bücher
    Hilft Kultur beim Leben, und was sollte man dazu essen? Ute Harbusch und Petra Heinze wollten es wissen und haben zwei Romane von Muriel Barbery zum Thema gelesen.
  • Schneiders Sommergeschichte
    Unser Autor Holger Schneider flieht im Urlaub aus dem heimischen Bad Cannstatt in ein anderes Kurbad und verrät uns, warum das sein muss.
  • Harbuschs Sommergeschichte
    Hier verrät unsere Redakteurin Ute Harbusch, was geschah, nachdem sie im Konzert in tiefen Schlummer gefallen war.