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Wie war’s bei der langen Reger-Nacht der Musik am 13.?

Mit vier Konzerten in Folge hat die „Musik am 13.“ den 150. Geburtstag von Max Reger gefeiert. Unser Autor Holger Schneider hat den Marathon absolviert und erstattet nun dem Jubilar einen brieflichen Bericht.

Lieber Knödel*, da kam wirklich allerhand zusammen: Freitag der Dreizehnte. Dein Hundertfünfzigster. Der letzte Sommertag – mitten im Oktober. Apropos: Du wärest sicher weitergegangen, die hundertfünfzig Meter bis zum Neckarbiergarten. Ich aber sah mich des guten Tons halber in die Stadtkirche Stuttgart-Bad Cannstatt einkehren, wo die vorzügliche Reihe „Musik am 13.“ ihren Saisonstart hinlegte, der zugleich ein Teil der diesjährigen Stuttgarter Chortage war: „Eine lange Reger-Nacht“, in Kooperation mit der HMDK (mein Lieber, das ist die eselsbrückenuntaugliche Abkürzung für: Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst) Stuttgart. Gell, ich schreib Dir ein wenig hierzu, ging es doch schließlich um Dich, mein alter Unmelodischer!

Zum Einstieg in die Nacht trat ein Liedduo mit zwei Studentinnen der Musikhochschule aufs Podium und interpretierte einige Deiner Lieder mit viel Leidenschaft, gleichwohl bekam das Ganze durch die Akustik etwas merkwürdig Überhöhtes. Ein Chörle von 14 wackeren Stimmen hat sodann sich angeschickt, einige Deiner ach so gar nicht einfachen Volksliedsätze in seinem beherzten Auftritt darzubieten. Sehnlich hätte man sich gewünscht, die Texte der Lieder mitlesen zu können – warum nicht mittels magischer Quadrate im Begleitheftchen auf einer Plattform, die Du nicht kennen kannst? Mich dünkte zugleich, dass jene, die das Ganze ausgeklügelt hatten, offenbar bestrebt waren, von möglichst vielen Deiner in einem solchen Rahmen realisierbaren kleineren Genres ein Exempelchen darzubieten, auf dass das Publikum Deiner ganzen Bandbreite gewahr werden möge. – Ha! Welch vergebliches Unterfangen! Nicht eine lange Reger-Woche hätte hierfür den Raum geboten!

Nach einer erquicklichen Pause dann eine erste Sternstunde: Norbert Kaiser und das Kahlo Quartett mit Deinem Klarinettenquintett vom Mai 1915. Du hast es ja als letztes Deiner Werke vollenden können, ein Jahr vor Deinem bühnenreifen Abtritt vom Podium des Diesseits. Und es wurde am 6. November 1916 just in Stuttgart uraufgeführt, was die „Signale für die musikalische Welt“ seinerzeit zu einem poetischen Bild veranlasste, das gestern ähnlich aufschien: „Über dem elegischen Werk ruht es wie der tiefe, heilige Friede eines milden Herbstabends, den die letzten Strahlen der sinkenden Sonne in ein leuchtendes Gold kleiden.” Mir gefiel vor allem das sommernachtstraumhaft filigrane Vivace und der zartweiche Beginn des Largo, dessen verborgener Schmerz freilich auch im ganzen Werk immer wieder herausbricht.

Noch zwei Konzerte sollten folgen. Ich blieb bis zum Schluss und war ein wenig empört, dass Deine lange Nacht dann auch schon zu Ende gegangen war. Der famose Hochschulchor unter Leitung von Denis Rouger hatte ein sehr anspruchsvolles Programm gestaltet, fünf Motetten aus Deinem Opus 138 waren darunter, aber auch Wilhelm Berger, Dein Vorgänger an der Meininger Hofkapelle, war mit seinem enorm packenden sechsstimmigen Werk vertreten: „Müde das Lebensboot weiter zu steuern“ sein bezeichnender Titel (auch Berger starb zu früh). Und hier war ich ganz bei Dir, alter Komposter, denn die jungen Menschen sangen als jene Einheit, die nötig ist, um all Deine subtilen chromatischen und dynamischen Intentionen überhaupt umsetzen zu können. Keine Frage: Ihr Dirigent, der im Übrigen die Noten alle im Kopf hat, hat hier ganz fantastische Arbeit geleistet! Feinste Nachzeichnung Deiner stets präzis notierten Schattierungen bis hin zum kaum mehr hörbaren Pianissimo, klares Herausarbeiten der metrischen Entwicklung, Kumulationen nie ins Übertriebene steigernd, nie blindlings in die Schlussakkorde gerauscht, Kantiges immer auch fein abgefedert – all das fiel ganz begeisternd ins Ohr. Und nie wurden die Stimmen fest, alles klang wie mühelos. Das hätte Dich entzückt, der Du ja selbst in Deiner nimmermüden Arbeit als Lehrer am Leipziger Konservatorium auch die problematischen Seiten des Unterrichtens kennengelernt hast.

Warum dann allerdings so ein Gassenhauer wie das „Mädchen mit den blauen Augen“ als chorischer Schlusspunkt gewählt wurde, erschloss sich mir nicht ganz. Der Kontrast zu Deinem „Basso ostinato“ e-Moll, diesem als irre Groteske daher stampfenden Orgelkracher, war jedenfalls der Knaller. Noch ein Glas Sekt in der Pause vor dem letzten grandiosen Orgelgebraus, noch ein kleines Laugengebäck zur Stärkung, dann gaben sich weitere der insgesamt sieben Studierenden der Klasse von Jürgen Essl die Manuale in die Hand, pedaliter untersetzt mit ordentlich Sechzehnfuß, dass einem im Mitschwingen mit dem Walcker-Werk alles im Leibe auf einmal lachte. Und Du hast mit den zehn Stücken op. 69 natürlich einiges auf Gebälk gelegt, lässt Dich nochmal als Dissonanzenwüterich in den Präludien aus. Und der Schluss, Max, alter Fugenseppl? Natürlich, ne Fuge. Auch ich sollte schleunigst zum Schluss kommen. –

Alles in allem, lieber Max: eine tolle Idee, eine wunderschöne Atmosphäre! Ach ja: Alle haben sie applaudiert, im Publikum wie im Ensemble, kräftig und anhaltend! Ich denke, das galt auch vorzüglich Deiner Musik und es hätte Dir zweifelsohne gefallen. Und in gewisser, nein, auf sehr unmittelbare Weise warst Du ja mitten unter uns.

Mach’s gut, lass Dich weiter feiern und herzlich grüßen von Deinem alten Freund H.

* Mit den zitierten Spitznamen hat Max Reger selbst in Briefen unterschrieben.

www.musik-am-13.de

Foto: Max Reger auf Findling sitzend, Wiki Commons


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