Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Zweimal hören

Johannes Kammler und Cornelius Meister auf winterlicher Reise (Foto: IHWA)

 

Beim Liedkonzert der Hugo-Wolf-Akademie mit der Staatsoper Stuttgart erklang einmal mehr Schuberts „Winterreise“ – dieses Mal mit Bariton Johannes Kammler und Cornelius Meister am Klavier. Ute Harbusch war vor Ort.

Cornelius Meister, Fachmann für die großen Bögen der romantischen Sinfonik, leitet als Generalmusikdirektor in der Stuttgarter Oper zurzeit, wie schon letzten Sommer in Bayreuth, Wagners „Ring“. Ein größerer Kontrast zur intimen Form des Liedes scheint kaum denkbar. Doch Meisters erklärte und glaubhaft praktizierte Liebe zum kammermusikalischen Musizieren führt ihn immer wieder in diese Gefilde. Bariton Johannes Kammler wiederum fühlte sich nicht von Anfang an zum Opernsänger berufen. Das Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart tritt inzwischen in den großen Partien seines Fachs von Mozart, Donizetti und Rossini auf, begann seine Karriere aber als Konzertsänger.

Sein kultivierter, ebenso klangschöner wie fokussierter Gesang ließ an Textverständlichkeit nichts zu wünschen übrig. Im Gegenteil: Die konsonantische Schärfe, die im großen Opernhaus vonnöten sein mag, wäre im Vortragssaal der Staatsgalerie verzichtbar gewesen. Zusammen mit seinem Pianisten reizte Kammler die schnellen Ausdruckswechsel der Musik dramatisch aus. Doch Deutlichkeit ist noch keine Verdeutlichung. In der letzten Strophe des berühmten „Lindenbaums“ war der Sänger eben nicht „manche Stunde entfernt von jenem Ort“, sondern noch immer da, wo das Lied seinen Ausgang genommen hatte: auf dem Konzertpodium.

Als verlässlicher, einfühlsamer Begleiter nahm Meister Kammlers Impulse auf, führte aber auch nicht weiter hinein in die Winterwelt von Wilhelm Müllers Lyrik, trotz einiger agogisch eigenwillig gestalteter Vorspiele. Viel Pedal und eine volltönende linke Hand ließen andere, historisierende Interpretationen von Schuberts Liedern auf dem Hammerflügel als berechtigte Alternative zu Steinway-Stahlseiten erscheinen.

Erst weit zum Ende des Zyklus hin wurde der Vortrag sprechender, differenzierter, der Ausdruck deutlicher. Kammlers Bariton gewann Mut zur Innigkeit und zur leisen Erschütterung. In der hohen Lage gelangen nicht nur artistische Piano-Passagen, sondern Nuancen der Versonnenheit. Aus Darstellung wurde Erleben. Mit „Täuschung“, „Das Wirtshaus“ und vor allem „Der Wegweiser“ gelangen dem Opernduo ergreifende Miniaturen. So schien es zu guter Letzt doch noch auf einer inneren Bühne angekommen zu sein. Und jetzt hätte man die „Winterreise“ gerne noch ein weiteres Mal gehört.

 

www.ihwa.de


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Zwischen Struwwelpeter und Gangsta-Rap
    Timo Brunke und die Hölderlin-Spoken-Word-Band mit „Mitteleuropapperlapapp“ im Theaterhaus: Wahnsinn und Weltliteratur, skurril und virtuos, findet Kesseltöne-Rezensentin Angela Reinhardt.
  • Das ist Glück!
    Stuttgart ist eine Chorstadt, weshalb die Kritik von Chorkonzerten in den Kesseltönen eine beträchtliche Rolle spielt. Aber was denken und fühlen eigentlich die Besucher:innen dieser Konzerte? Petra Heinze hat im Norden und Süden der Republik mal nachgefragt.
  • We shall overcome
    Lange hatte sie es vor. Endlich hat sie es gewagt. Unsere Redakteurin Ute Harbusch stürzte sich am vierten Adventssonntag in die Menge, um am 6. Stuttgarter Weihnachtssingen im Kickers-Stadion teilzunehmen.
  • Endlich mal was anderes
    Dreifache Premiere: Erstens die von „Once“ an der WLB Esslingen. Zweitens heißen die Kesseltöne unsere neue Autorin Angela Reinhardt so herzlich willkommen wie, drittens, die Sparte Musical.
  • Erleuchtung bei Beethoven
    „Light“ heißt das kürzlich erschienene Debüt-Album des Stuttgarter Sonus-Quintetts. Drei Bearbeitungen für fünf Holzblasinstrumente rücken die Originalwerke tatsächlich in neues Licht, findet Jürgen Hartmann – und bestaunt eine unerwartete Überraschung.