Jörg Halubek studierte in Stuttgart, war Organist an der Gaisburger Kirche und gründete vor 15 Jahren das Ensemble Il Gusto Barocco. Heute ist der Spezialist für historische Aufführungspraxis weithin als Operndirigent gefragt. Jürgen Hartmann sprach mit ihm.
Jürgen Hartmann: Herr Halubek, als wir uns bei einem Stuttgarter Musikfest kennenlernten, hatten Sie gerade Il Gusto Barocco gegründet und starteten mit vereinzelten Konzerten in der Gaisburger Kirche. Heute sind Sie an namhaften Theatern als Operndirigent gefragt. Wie hat sich das ergeben?
Jörg Halubek: Da kamen mehrere Dinge zusammen. Ich hatte als Student der Kirchenmusik eigentlich immer den Traum, Kantor an einer traditionellen evangelischen Kirche zu sein, mit Passionen, Kantaten und all der anderen Kirchenmusik, die man da machen kann, eingebettet ins liturgische Jahr. Aber zur selben Zeit, als ich Il Gusto Barocco gründete, war ich als Cembalist an der Oper Stuttgart engagiert, für Herbert Wernickes Inszenierung „Actus tragicus“. Ich lud den Opernintendanten Albrecht Puhlmann zu meinem Bach-Orgelzyklus an der Gaisburger Kirche ein und erzählte ihm, dass durch das Actus-tragicus-Projekt meine Leidenschaft fürs Theater geweckt worden war. Einige Zeit später fragte er mich, ob wir mit Il Gusto Barocco bei der Vivaldi-Oper „Juditha triumphans“ mitwirken könnten, als Gastorchester. Ich war Assistent des Dirigenten Lutz Rademacher und konnte später selbst einige Vorstellungen leiten. Das war meine Eintrittskarte in die Theaterwelt. Zehn Jahre später hat Albrecht Puhlmann uns für den Monteverdi-Opernzyklus ans Nationaltheater Mannheim geholt.
Jürgen Hartmann: Aber dazwischen war noch einiges mehr…
Jörg Halubek: Ja, als Folge der „Juditha“ wurde ich ans Staatstheater Kassel für die Scarlatti-Oper „Griselda“ engagiert. Das war insofern eine andere Aufgabe, als dort das Hausorchester spielte. Ein Theater mit eigenem Orchester lädt normalerweise kein Gastorchester ein, aber Barockopern fallen auch nicht in das übliche Metier eines fest angestellten Kapellmeisters. Es stellen sich andere Aufgaben: Man muss eine Fassung erstellen, in enger Zusammenarbeit mit der Regie, man muss für die modernen Orchester ein funktionierendes Konzept finden und gleichzeitig, soweit es geht, den Ausführenden die speziellen Anforderungen der Barockmusik ans Herz legen. In Kassel ergab sich eine Zusammenarbeit über zehn Jahre hinweg, bis die Intendanz wechselte. Das waren nochmals Lehrjahre für mich.
Jürgen Hartmann: Normalerweise hält man in der Musikbranche die Kirchenmusik und die Oper eher auseinander…
Jörg Halubek: Ja, da haben Sie Recht, man entscheidet sich meistens so oder so. Ich selbst lernte erst nach meinem Kirchenmusikstudium meine erste Händel-Oper kennen und merkte, was man da verpasst. Ich habe noch vier Jahre Studium an der Schola cantorum in Basel angehängt und konnte meinen Lehrer Andrea Marcon beobachten, der gerade eine Opernproduktion in Frankfurt machte. In Basel, wo man sich ganz auf die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts konzentriert, gab es diese Trennung von geistlich und weltlich, also auch von Kirchenmusik und Oper, gar nicht, eben weil es sie in diesem historischen Repertoire auch nicht gibt. Denken Sie an Telemann – der war Opernchef und Kirchenmusikdirektor in einer Person. Nun sollte man vielleicht nicht heute einen Messiaen-Orgelzyklus spielen und morgen ein Musical dirigieren, aber man muss das eben auch nicht als Entweder-oder verstehen.
Jürgen Hartmann: Bedeutet die Opernarbeit für ein Ensemble wie Il Gusto Barocco eine besondere Herausforderung?
Jörg Halubek: Eigentlich nicht. Es geht ja, wenn ein Gastorchester in einem Opernhaus spielt, auch um ganz pragmatische Fragen wie eine große Continuo-Gruppe oder spezielle Instrumente, die ein Theaterorchester gar nicht hat. Aber noch wichtiger ist die musikalische Seite, die Bereitschaft zur Improvisation, die Erweiterung der notierten Musik, das macht solche Abende ja auch reich. Am Theater Basel mache ich gerade „Die Schöpfung“ und dort gehört es zum Konzept, Gastorchester einzuladen, passgenau zum Projekt, in diesem Fall das Ensemble La Cetra. Es ist schon etwas Besonderes, aber nicht mehr die ganz große Ausnahme. Il Gusto Barocco ist ja auch kein festes Orchester, sondern ich verstehe das eher als Plattform für Projekte, auch wenn es eine Stammbesetzung gibt, mit vielen meiner Basler Studienkollegen. In unserer kompakten Stuttgarter Reihe stellen wir fast nur Entdeckungen aus dem Repertoire vor, da gibt es eine große Offenheit auch von Förderern und Partnern, wir können das eventuell durch Noteneditionen ergänzen, durch einen SWR-Mitschnitt, der für eine CD-Veröffentlichung verwendet werden kann. Die Stücke werden sozusagen neu geboren! Das ist eine wertvolle Arbeit, aber auch sehr aufwendig.
Jürgen Hartmann: Was bedeutet im Rückblick und aktuell Stuttgart für Sie?
Jörg Halubek: Stuttgart ist nach wie vor meine Homebase, ich habe die Professur an der Musikhochschule und meine Studenten sind auch eine Art Familie. Ich versuche, die historische Aufführungspraxis noch stärker in der Hochschule zu verankern. So können Sänger, die später an modernen Opernhäusern singen, schon davon profitieren. Dazu wollen wir auch internationale Meisterklassen machen. Für Il Gusto Barocco haben wir eine institutionelle Förderung. Die Kirchenmusik ist in Stuttgart ja sehr stark, aber zum Thema Barockoper, gerade zum frühen Barock, könnte man noch einiges tun!
Die Stuttgarter Reihe von Il Gusto Barocco startet am 12. Mai. Bis zum 23. Juni stehen Werke von Komponistinnen auf dem Programm, unter anderem als Uraufführung die 1707 entstandene Oper „L’Ercole amante“ von Antonia Bembo. Im Juli und August wirken Jörg Halubek und sein Ensemble an der Bachwoche Ansbach mit, in der Saison 2023/24 steht Monteverdis „Orfeo“ am Nationaltheater Mannheim an.
Foto: Marco Borggreve
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