Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Wie war’s beim Staatsorchester im Mozartsaal?

Lesezeit: 3 Minuten

Muriel Bardon, Marion Schäfer, Madeleine Przybyl und Doris Erdmann proben, Foto: Staatsoper Stuttgart

Mit „Impressions“ war ein Kammerkonzert mit Mitgliedern des Staatsorchesters im Mozartaal der Liederhalle betitelt. Es erklang ein Werk der Jetztzeit, umgeben von Stücken aus dem 20. Jahrhundert. Ute Harbusch war vor Ort und erzählte Petra Heinze davon.

Petra Heinze: Liebe Ute, wir hatten das Konzert wegen seiner ungewöhnlichen Stückzusammenstellung ausgesucht: Um die Weltraum-Odyssee „Satellites“ von Garth Knox für Streichquartett, geschrieben 2015, gruppieren sich drei Werke aus der ersten Hälfte des  20. Jahrhundert. Wie die alle zusammenpassen, habe ich auch im Programmheft nicht ganz verstanden. War das beim Hören anders?

Ute Harbusch: Die Besetzungen bildeten eine Klammer: Zu dem von Knox kam das Streichquartett Nr. 2 von Benjamin Britten, außerdem erklangen zwei Trios für Klarinette, Violine und Klavier: zu Beginn die Suite op. 157b von Darius Milhaud, nach Knox das Trio von Aram Chatschaturjan. Es ergaben sich natürlich einige zufällige akustische Querverbindungen. Man konnte beim Hören über das Pizzicato, über ungewöhnliche Spieltechniken der Streicher, auch über die Kunst des Aufhörens nachdenken. Aber die dramaturgisch intendierte Klammer ging meines Erachtens nicht auf. Der Titel „Impressions“ sollte zum Ausdruck bringen, dass alle Werke durch einen äußeren Eindruck angeregt wurden: ein französisches Theaterstück bei Milhaud, die armenische Folklore bei Chatschaturjan, den englischen Komponisten Henry Purcell bei Britten und eben das Weltall bei Knox. Aber da taucht gleich das leidige Problem der Programmmusik auf: Was tun, wenn ich von den drei angekündigten Sonnenaufgängen nur einen höre?

Petra Heinze: Tja, hast Du den denn gerne gehört?

Ute Harbusch: In der Tat! Es war ein strahlender D-Dur-Akkord, aufgefächert mit seinen Obertönen, und hat mich an das „Licht“ in Haydns Schöpfung erinnert. Dort leuchtet es allerdings in C-Dur. Das dreisätzige, attacca fortlaufende Stück hatte Drive, war abwechslungsreich und effektvoll und erzeugte originelle, aber nicht exaltiert ungewöhnliche Klänge. Die Bögen strichen mit den Haaren oder dem Holz horizontal oder vertikal oder auch im Kreis über die Saiten, als Schlusspointe zischten sie sogar durch die Luft, was beim Publikum wie bei den Spieler:innen selbst Heiterkeit erregte. Knox ist ein profilierter Bratscher, hat beim Ensemble Intercontemporain und beim Arditti-Quartett gespielt, unter anderem die Uraufführung von Stockhausens Helikopter-Quartett. Das Stück profitierte von seiner Vertrautheit mit den Möglichkeiten des Streichinstruments und seinem klugen angelsächsischen Humor. Und die Interpretation saß. Die Musiker:innen hatten zuvor Gelegenheit, das Stück mit dem Komponisten zusammen einzustudieren.

Petra Heinze: Konzerte mit Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert sind ja oft ein Wagnis. Waren viele Menschen da und wie reagierten sie?

Ute Harbusch: Das Konzert war sehr gut besucht und das Publikum applaudierte zustimmend, wenn auch nicht frenetisch. Die Programmauswahl war keine modernistische Zumutung: Alle Stücke waren leicht zu hören, bei Milhaud mit brasilianischen und jazzigen Rhythmen durchsetzt, bei Chatschaturjan mit schwelgerischen spätromantischen Linien.

Petra Heinze: Und wie kamen die Musiker:innen mit diesen Werken zurecht?

Ute Harbusch: Die beiden Quartettbesetzungen haben mich mehr überzeugt als das Trio. Die Streichquartette haben musikalisch auch mehr Substanz. Die Trios kommen eher rhapsodisch daher, mit immer wieder wechselndem Ausdruck und Charakter. Vor allem bei Milhaud fanden Klarinettist Frank Bunselmeyer, die Geigerin Muriel Bardon und Jens Niemeyer am Klavier nicht zusammen. Brittens Streichquartett, das gewichtigste und längste Werk des Abends, wurde gespielt von Muriel Bardon, Marion Schäfer, Madeleine Przybyl und, herausragend, Doris Erdmann. Bei Knox war Alexandra Taktikos die Primgeigerin und Zoltan Paulich der Cellist. Brittens zweiter Satz ist eine schnelle, gespenstische Nachtmusik, mit Dämpfer, aber fortissimo gespielt, ein ebenso verblüffender Klangeffekt wie bei Knox. Der Schlusssatz ist als Hommage an Purcell eine Chaconne, die ein neuntaktiges Thema harmonisch, melodisch, rhythmisch, aber niemals didaktisch variiert. Diese Variationen hat das Damenquartett in einer schönen Ausgewogenheit aus Solo und Gemeinschaft gestaltet, bis hin zum leuchtenden Schlussakkord aus lauter Arpeggien, diesmal in C-Dur.

http://www.staatsoper-stuttgart.de/staatsorchester


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Traumschwiegersöhne: Die Hanke Brothers mit Eckart von Hirschhausen
    Wir glauben es sofort: „Musik macht glücklich – und rettet die Welt“ heißt eine Veranstaltung des New Classical Music Festivals mit Eckart von Hirschhausen, Pianist Christoph Reuter und den Hanke Brothers, die das Festival initiierten. Unser Autor Holger Schneider war vor Ort.
  • Wie war’s bei Lia Pale im Theaterhaus?
    Lia Pale und ihre Band krempeln unerschrocken das deutsch-österreichische Kunstlied um und machen eine Jazz-Session in Englisch. Die Hugo-Wolf-Akademie lud sie ins Theaterhaus ein. Ein gelungenes Experiment? Ute Harbusch antwortet darauf im Gespräch mit Jürgen Hartmann.
  • François-Xavier Roth tritt beim SWR Symphonieorchester an
    Er wolle keine normalen Programme dirigieren, hat der neue Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters, François-Xavier Roth, angekündigt. In seinem Antrittskonzert spürte er dem Begriff der Sinfonie nach. Normalität stellte sich tatsächlich nicht ein, findet Jürgen Hartmann.
  • Heinzes Tipps des Monats
    Manche Institutionen erweitern schlau ihr Publikum mit Veranstaltungen, die man dort nicht erwarten würde: Das Stadtpalais lädt zum Mitsingen ein, und das Kunstmuseum führt eine Kammeroper auf. Zudem setzt Heinrich Steinfest im Literaturhaus zum Seitenhieb auf den Turbokapitalismus an.
  • Kulturbeutel (4): Eng, aber höflich
    Aus Befremden wird Verständnis: Ein Feriendorf ist etwas typisch Französisches, zum Französischsein gehört das Talent zum Kollektiv. Von diesem Baguette könnte man sich in Sachen Urlaubs- und Alltagskultur eine knusprige Scheibe abschneiden, findet Ute Harbusch.