Mit dem Kammerchor und dem Barockorchester Stuttgart hat Frieder Bernius erneut eine Messe und weitere geistliche Werke von Jan Dismas Zelenka auf CD herausgebracht. Susanne Benda ist hellauf begeistert.
Felix Mendelssohn ist der eine. Der andere: Jan Dismas Zelenka. Der eine durch und durch Romantiker, aber mit kreativer Liebe zur musikalischen Tradition, der andere Hof- und Kirchenmusiker im barocken Dresden. Die Komponisten Mendelssohn und Zelenka sind, so unterschiedlich ihre Werke, Ideen und Stile auch sein mögen, die Fixsterne im Kosmos des Dirigenten Frieder Bernius und seines Stuttgarter Kammerchores. Wenn Bernius jetzt seine fünfte Einspielung einer Zelenka-Messe herausbringt, dann ist auch sie wieder ein Statement: Diese Musik lohnt sich, sie erhält immer noch nicht die Wertschätzung, die ihr vollkommen eigenständiger, ausdrucksintensiver Stil verdient.
Auffällig bei der jüngsten Aufnahme: Die „Missa Gratias agimus tibi“, auf der CD unter anderem flankiert von Zelenkas prachtvollem D-Dur-Magnificat, lebt zwar wie Bernius‘ Zelenka-Aufnahmen zuvor von der staunenswerten Fähigkeit des Dirigenten, Pracht und Maß in Balance zu halten. Aber trotz aller Kontrolle klingt Zelenka hier gelassener, weicher, milder als zuvor; besonders deutlich wird dies im Vergleich zur schon 1998 aufgenommenen „Missa Dei Patris“. Das Klischee vom Altersstil wagt man bei einem Dirigenten, der kaum etwas so verachtet wie Klischees, kaum zu gebrauchen. Es kommt einem aber beim Hören immer wieder in den Sinn, und zwar mit durchaus positiver Bedeutung.
Die meist kurzen Sätze der 1730 komponierten „Missa Gratias agimus tibi“ sind kleine, spritzige Charakterstücke. Sie mäandern zwischen Extremen der Besetzung, der Klangfarbe und des Ausdrucks, sie kultivieren Kontraste auf engem Raum, sie stecken voller Chromatik, sinnlicher Sekundreibungen, reizvoller melodischer Erfindungen. Frieder Bernius musiziert dies alles präzise aus. Fertig. Das Über-Expressive braucht er nicht. Selbst wo die Musik im „Et resurrexit“ bei den Worten „Vivos et mortuos“ und „mortuorum“ den Atem anhält, verweigert sich Bernius dem Zuviel – und erlangt gerade dadurch starke Wirkung.
Die Qualität und Intensität entstehen durch Fokussierung. Die Streicher des Barockorchesters Stuttgart wirken in ihren feinen Phrasierungen oft federleicht, Oboen und Flöten sorgen für starke konzertante Momente, Pauken und Trompeten für strahlende Pracht. Die Vokalsolist:innen sind nicht nur jede(r) für sich erstklassig, sondern finden auch in feinster Koordination zusammen, unter anderem im „Et incarnatus est“ des Credo-Satzes und im zweiten, solistischen „Agnus Dei“-Satz, der uns ahnen lässt, über welch prachtvolle Kastraten Zelenka seinerzeit am Dresdner Hof verfügte. Der Kammerchor selbst ist einmal mehr ein Vokalphänomen, dessen Stimmen bruchlos über-, neben- und miteinander interagieren. Das Bernius-Markenzeichen, ein vollkommen flackerfreier, leuchtender Sopran, hier kontrastiert mit für Zelenka typischen beweglichen Bassfiguren, wirkt bis hinein in den Orchesterklang. Großartige Musik, großartige Interpretation. Die CD ist eine ultimative Weihnachtsbaum-Empfehlung.
Foto Kammerchor Stuttgart: Jens Meisert
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