Lia Pale und ihre Band krempeln unerschrocken das deutsch-österreichische Kunstlied um und machen eine Jazz-Session in Englisch. Die Hugo-Wolf-Akademie lud sie ins Theaterhaus ein. Ein gelungenes Experiment? Ute Harbusch antwortet darauf im Gespräch mit Jürgen Hartmann.
Jürgen Hartmann: In der Politik heißt es ja, dass wir uns unabhängiger von den USA machen sollen. Dort hat man ein „Great American Songbook“, das sich für uns eher nach Musical anhört. Die österreichische Musikerin Lia Pale hat ein „Great European Songbook“ erfunden – was verbirgt sich dahinter?
Ute Harbusch: Gemeinsam mit dem Pianisten und Arrangeur Matthias Rüegg nimmt sie sich nicht die unvergessenen Klassiker von George Gershwin und Cole Porter, sondern von Schubert, Schumann, Brahms, Wolf, und verwandelt sie in englischsprachige Jazz-Songs. Die Solostimme bleibt, aber zu ihr gesellt sich eine Combo aus Klavier, Akustikbass (Hans Strasser), Schlagzeug (Ingrid Oberkanins) und Geige (Stanislav Palúch). Das – um es gleich vorwegzusagen – faszinierende, inspirierende Unterfangen scheint mir allerdings weniger politisch begründet zu sein als in der großen Liebe zur musikalischen wie sprachlichen Poesie des Kunstlieds.


Jürgen Hartmann: Wenn ich Lia Pales Video ansehe, erkenne ich allerdings nur noch wenig von Schubert & Co. Wäre ich als Kenner des Kunstlieds eher verschreckt?
Ute Harbusch: Verschreckt wurden wir nicht, sondern verstrickt, verzaubert und begeistert. Was nicht allein an der musikalischen Darbietung, sondern auch an der hinreißend flatterhaften, heftig wienerischen Moderation durch Lia Pale lag, die immer wieder auch zur Flöte griff. Die Melodien blieben erhalten, ebenso wie die Kernelemente der Klavierbegleitung. Das Strophenlied ging zwanglos in die jazzüblichen Soli über und fand wieder zurück. Die deutschen Gedichte wurden zu englischen Songtexten, die Lia Pale voller Liebe, Kunst und Schlichtheit selbst übertragen hatte. Der Rhythmus bekam eine größere Rolle, die Lieder hatten Drive. Und trotz oder eher aufgrund all dieser Verwandlungen blieb doch die poetische Idee des jeweiligen Songs erhalten, ja, wurde durch sie auf funkelnde Weise erkennbar.

Jürgen Hartmann: Es gab also einen Mehrwert – für Freunde des Kunstlieds und womöglich auch für Jazzfans. Daraus ergibt sich nun die hypothetische Frage: Hat das Ganze den alten Meistern genutzt, hat es wohl Interesse am originalen Kunstlied geweckt?
Ute Harbusch: Ich bin ehrlich: Ich kannte nur ein Drittel der vorgetragenen Lieder im Original. Die Quote war sicher bei den meisten anderen Konzertbesucherinnen und -besuchern besser. Inzwischen habe ich mir aber aus meinen eigenen Liederbänden und online die herausgesucht, die mir neu waren, um auch hier die Originale kennenzulernen. Vor allem bei Hugo Wolf besteht da bei mir leider Nachholbedarf.
Jürgen Hartmann: Lia Pale hat im Auftrag der Hugo-Wolf-Akademie einige Lieder des Patrons bearbeitet und in diesem Konzert uraufgeführt. Hat die Künstlerin dazu in ihrer Anmoderation etwas Aufschlussreiches gesagt?
Ute Harbusch: Richtig, sechs Lieder nach Wolf-Originalen waren eigens in Auftrag gegeben worden, sieben sind es geworden. Am gelungensten fand ich die Adaptionen von „An die Geliebte“ und „Verschwiegene Liebe“. Zu letzterem erfuhren wir von der Sängerin: „Hugo Wolf hat da mit einem Schlag das Genre Musical erfunden.“ Was sie anschließend durch ihren Gesang unwiderstehlich bewiesen hat.
Fotos: Reiner Pfisterer, Severin Koller, Pawel Karnowski
Weitere Infos: Lia Pale, Internationale Hugo-Wolf-Akademie
Schreiben Sie einen Kommentar