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Traumschwiegersöhne: Die Hanke Brothers mit Eckart von Hirschhausen

Lesezeit: 4 Minuten

Wir glauben es sofort: „Musik macht glücklich – und rettet die Welt“ heißt eine Veranstaltung des New Classical Music Festivals mit Eckart von Hirschhausen, Pianist Christoph Reuter und den Hanke Brothers, die das Festival initiierten. Unser Autor Holger Schneider war vor Ort.

Die Hanke Brothers muss man einfach lieben! Vier herzerwärmende Sonnenscheinchen, vor guter Laune berstende schmucke Burschen, Boyband-Quartettspiel ungetrübter Heiterkeit, vierfache Inkarnation des Traumschwiegersohns!

Dazu Tausendsassas auf illustrem Instrumentarium, mutige Sprenger der fiesen Grenzen jener muffig-alten begrenzten klassischen Musik, Erfinder echten musikalischen Pioniergeists sowie – nebenher – einer völlig neuen Ära der Musikgeschichte: New Classical Music! Stargast im gleichnamigen Festival: Dr. Eckart von Hirschhausen, zugleich Schirmherr des Festivals (wirklich eine schöne Kombi!). Lotet erstmal musisch-demografische Amplituden aus. Zwischen Max (11) und Walter (90) wogt es bunt gemischt, wenngleich vielfach grau meliert, jedenfalls zustimmend-erwartungsvoll im Publikum.

Die Brothers duzen ihre Fans. Hirschhausen findet anfangs nicht den roten Faden, verliert sich mal in Lebensweisheits-Plattitüden („Die Menschheit steht an einer Schneise der Entscheidung“ – tut sie das nicht fast immer?), mal in harmlose Musikgeschichts-Parforce-Verwurstung, zurückhaltend-humorvoll sekundiert (nein: geleitet) von Jazzpiano-Superonkel Christoph Reuter. John Cage kriegt für 4′33″ nochmal eins auf den Deckel, Wiedererkennungs-Schmankerln werden häppchenweis angeboten und dankbar vom Saal aufgesogen.

Dann endlich– die Singpause! Eine Hundertschaft geölter Kinderstimmen, alles rauslassend, was in diesem lang ersehnten aufregenden Moment geht! Und das ist viel mehr als 99 Luftballons oder ein kleiner grüner Kaktus, das ist göttlich! Begeisternd! Wie dann die Brothers jedem Kind seine „Five“ geben, keines übersehen, wie durch eine solche Geste das Zusammengepuzzelte Form annimmt: Das zählt zu den Höhepunkten des Abends – und ja: es kommen weitere.

Die unermüdlichen Kulturbotschafter von Opus Klassiks Gnaden erzählen, das alles mache irre viel Spaß, sie freuen sich andauernd „riesig“ über dieses und jenes, sie reden von „wunderbaren Zetteln“ die da auf unseren Plätzen liegen. Alles ist superlativ fantastisch wundervoll. Ja, stimmt ja auch, gewissermaßen, aber sei’s drum, vielleicht kriegen das die Leut im Publikum sogar selber mit…?

Wenn sie dann losschmettern im Quartett, tontechnikgepanzert, sich die Bälle zuwerfen, rasten die Leute aus, und das geht voll klar! Von Ausnahmen abgesehen: Die Combo auf der Bühne hat leider auch „Leise flehen meine Lieder“ auserkoren und verzerrt die Kostbarkeit menschlicher Sehnsucht zum erbarmungslosen Schmachtfetzen. Sehr zum Entzücken des Publikums. Ich überlege, wie ich die Pause ohne Fluchtpläne überstehe. Zumal sich herausstellen wird, dass Böblinger Konzertpausen-Trostgetränke auf Genusslimonade in Plastikflaschen heruntergerechnet werden.

Was hat die Limo nur bewirkt? Nach der Pause wird’s mir nochmal richtig schummrig-gut. Eckart von Hirschhausen singt, das gefällt allen, weil danach auch seine Sprechstimme singen wird. Mit einer Keimzeit-Reminiszenz gestattet sich Reuter eine kleine Liebeserklärung an die neuere (ostdeutsche) Musikgeschichte, was neben „Musik macht glücklich“ und „Musik rettet die Welt“ (OK, soweit alles bereits im Titel des Abends gesetzt) zum ersten guten Rezept des Abends führt, dass Musik nämlich auch eine enorme subversive Kraft zu entwickeln vermag, „vor der die Diktatoren dieser Welt Angst haben“. Starke Medizin mit Potenzial. Es ist die beste Phase des Abends, und endlich geht auch mein grau meliertes Herz auf.

Christoph Reuters grandiose Impro über „221267“ (den Geburtstag eines der anwesenden Weltverbesserer) tut das Ihrige, Hirschhausen singt sein sehr poetisches Welt-Liebeslied („Mein Zug fährt“), dann kommen die Brothers herzu und es gibt putzig-hurtiges Vivaldi-Vogelgezwitscher, im Bächlein helle, ne voll dicke alte Tuba-Forelle, den vermollten Spätsommer-Wohlfühlkanon „Hejo spann den Wagen an“, Gloria Gaynors „I will survive“.

Mitten im schönsten Mitsing-Swing, im herrlichsten Brothers-Musikanten-Stadl, kommt die Fermate, ehe Eckart von Hirschhausen zum melodramatischen Finale ansetzt, mit einer echten tiefen Kabarett-Sequenz – ohne Kalauer, mit feinem Humor, voller Liebe, sanft, kaum wahrnehmbar umspielt vom Tastenzauberer Reuter: Wir werden entführt, wehrlos dahintreibend in einer herzzerreißend schönen Fotosequenz. Zu den Kaiserpinguinen, von denen wir einiges wussten, aber viel zu wenig, nie alles wissen werden. Hirschhausens subtil pointierte Wortgruppen, wie Perlen, Pinguine aneinandergereiht: Wie diese Wesen fliegen, obwohl sie es angeblich nicht können, wie sie einander wärmen in der Kälte, wie sie sich lieben und immer lieben werden, wie sie füreinander sorgen, wie sie zusammenstehen. Zusammenstehen.

Aus jedem Abend im Konzertsaal etwas gestalten, was uns im Zusammenstehen wesentlich besser macht: Dazu möge dieses Festival weiterhin beitragen. Und liebe Hanke Brothers, die man einfach lieben muss: Das mitunter Süffisante dieser Zeilen lege ich Euch als Liebesbeweis der besonderen Art mit grau meliertem Dankeschön zur Seite: Berstet bitte weiter vor guter Laune! Niemand kann das ansteckender als Ihr…

https://www.newclassicalmusicfestival.de

Fotos: Benjamin Knoblauch


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