Lucas Reuter übernimmt am 1. Oktober die künstlerische Leitung der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Er kann auf reichlich Erfahrung vor Ort bauen. Jürgen Hartmann hat ihn gefragt, was bleibt und was kommt.
Jürgen Hartmann: Herr Reuter, Sie leiten ab Oktober zusätzlich zum Forum am Schlosspark die Schlossfestspiele in Ludwigsburg. Ergeben sich aus dem einen Impulse für das andere?
Lucas Reuter: Ich bin 2010 mit Thomas Wördehoff nach Ludwigsburg gekommen, zunächst als Dramaturg für zwei Spielzeiten bei den Schlossfestspielen. Seit der Spielzeit 2011/12 bin ich Künstlerischer Leiter des Forum am Schlosspark. So kenne ich Ludwigsburg eigentlich in- und auswendig. Das ist sicher ein Vorteil, weil die künstlerische Arbeit gerade in den historischen Räumlichkeiten des Schlosses auf einer speziellen Topographie basiert. Es ist gut, wenn man abschätzen kann, was dort möglich ist, damit man nicht in lauter Sackgassen gerät.
Jürgen Hartmann: Die Ludwigsburger Schlossfestspiele haben eine lange Tradition und der Anfang war sehr auf Größe, auf Repräsentation ausgelegt. Das wurde manchmal belächelt, aber es wurde auch sehr viel Geld dafür ausgegeben. Wie sehen Sie Ihre Arbeit im Spannungsfeld zwischen Repräsentation und Neuerfindung eines Festivalbegriffs?
Lucas Reuter: Vor der Neubesetzung der Intendanz haben die Stadt Ludwigsburg und das Land Baden-Württemberg eine Zukunftskommission eingerichtet, die das ganze Festival durchleuchten sollte, durch vielerlei Lupen, wenn man so will – Struktur, finanzielle Ausstattung, künstlerische Ausrichtung, Resonanz des Publikums. Eine wichtige Empfehlung hat diese Kommission gegeben, sie wurde durch den Aufsichtsrat bestätigt, nämlich dass der festspieleigene Klangkörper nicht fortgeführt wird. Mit dieser Weichenstellung habe ich mich konfrontiert gesehen und u. a. auf dieser Basis eine Konzeption entwickelt.
Jürgen Hartmann: Das Festspielorchester war eine Säule des Festivals, aber, wenn man es so sagen darf, eben auch nur eine.
Lucas Reuter: Von Anfang an hat sich durch die Intendanzen Gönnenwein, Konold, Wördehoff, Sandig ein Grundsatz durchgezogen, den ich nicht zu ändern gedenke: Die Schlossfestspiele sind ein unglaublich vielfältiges Festival und hinsichtlich der Sparten und der Programmatik am breitesten aufgestellt von allen Festivals in Baden-Württemberg, wenn nicht sogar im süddeutschen Raum. Andere Festivals sind auf einen inhaltlichen Aspekt fokussiert. In Bayreuth dreht sich alles um Wagner, in Donaueschingen um Uraufführungen, der Heidelberger Frühling stellt das Lied ins Zentrum, die Schwetzinger SWR-Festspiele bringen Musikformate, die auf die Räumlichkeiten dort zugeschnitten sind. Ludwigsburg ist größer und breiter aufgestellt. Tanz und Ballett spielen eine wesentliche Rolle, das Musiktheater, Konzerte in vielen Formaten, Jazz und Weltmusik sind eingeschlossen. Die Basis dafür ist das herausragende Portfolio an Spielstätten, das es so nur in Ludwigsburg gibt. Das beginnt mit dem Ursprungs- und Identitätsort Residenzschloss, als Pendant gibt es das große Festspielhaus Forum am Schlosspark, immerhin der drittgrößte und einer der besten Theaterbauten in Baden-Württemberg. Es gibt eine vielfältige Palette an Spielmöglichkeiten in den Parks und die Karlskaserne, die eine wunderbare Bühnenlandschaft ist und ein ganz anderes Ludwigsburg repräsentiert, die Garnisonstadt des 19. Jahrhunderts. Die Kaserne ist heute ein Kunstzentrum. Dieses Gefüge ist das Aushängeschild und ein Alleinstellungsmerkmal.
Jürgen Hartmann: Solche Vielfalt macht einerseits ein Festival aus, andererseits gibt es ‚das‘ Festivalpublikum vielleicht gar nicht mehr. Anders gesagt: Sucht das Publikum das Festival oder suchen umgekehrt die vielen unterschiedlichen Formate sich ihr jeweiliges Publikum?
Lucas Reuter: Der große Reiz bei den Schlossfestspielen besteht darin, dass sich unterschiedliche Publika treffen können, die sich anderswo gar nicht begegnen. Das herzustellen, ist schon ein wichtiger Teil der künstlerischen Arbeit hier.
Jürgen Hartmann: Könnte man nicht das Begegnen der Publika sozusagen in Formen gießen, durch bewusst gleichzeitiges Ansetzen ganz unterschiedlicher Veranstaltungen, mit gemeinsamen Nachfeiern?
Lucas Reuter: Auf jeden Fall! Die Ludwigsburger Schlossfestspiele verfügen mit dem Palais Grävenitz als Sitz über einen wunderbaren Ort, der baugeschichtlich und historisch mit dem Schloss assoziiert ist, aber nicht auf demselben Areal liegt, da das Haus als Residenz einer Maitresse etwas abseits gebaut werden musste. Es ist ein wunderbares Barockjuwel, das ich mir als Begegnungsort vorstelle, wo sich nach den Konzerten Künstlerinnen, Künstler und Publikum begegnen und sich austauschen können. Und ja, bei einem Sommerfestival soll auch gefeiert werden.
Jürgen Hartmann: Das Thema der gesellschaftlichen Spaltung ist brisant, und ich denke, auch die Kultur ist davor nicht gefeit: Menschen suchen sich etwas aus, begegnen sich aber eigentlich nicht. Wäre es denn vorstellbar, die verschiedenen Publika noch stärker zum Austausch zu bewegen?
Lucas Reuter: Das fände ich schön und wichtig. Ich arbeite gerade daran, dass man die Bildenden Künste noch stärker in die Festivalprogrammatik verweben kann. Wir wollen eine Ausstellung im Schloss ermöglichen und die Bildende Kunst auch als Sparte etablieren, so dass die Besucherinnen und Besucher vor dem Besuch im Ordenssaal oder im Schlosstheater durch eine Kunstausstellung wandeln können.
Jürgen Hartmann: Die diesjährigen Schlossfestspiele sind zu Ende gegangen – verraten Sie uns etwas über die nächsten!
Lucas Reuter: Ich arbeite momentan unter Volldampf. Ich muss mich um 2025 kümmern und gleichzeitig 2026 und 2027 planen, weil die Vorläufe in unserer Branche nun einmal so sind, wie sie sind. Ich bin mit unterschiedlichsten Künstlern, Ensembles, Institutionen in intensiven Arbeitsgesprächen und vieles entwickelt sich sehr positiv. Eine Idee lässt sich sehr gut an. Die Schlossfestspiele sind als Internationale Festspiele Baden-Württemberg das erste Festival des Landes, sie stehen an der Spitze der baden-württembergischen Festivallandschaft. Ich möchte daher mit den herausragenden Klangkörpern des Landes zusammenarbeiten und mit diesen exklusive Produktionen pro Festspielsommer herausbringen. Die Planungen dafür laufen sehr gut. Wir arbeiten auch daran, dass diese Projekte als Koproduktion mit anderen europäischen, internationalen Festivals in Europa erarbeitet werden. Das heißt, eine Produktion hat hier in Ludwigsburg Premiere und wird dann bei einem anderen großen Festival in Europa gezeigt. Und gleichzeitig arbeiten wir umgekehrt mit internationalen Festivals zusammen, so dass eine Arbeit, originär aus Frankreich oder Italien kommend, von Ludwigsburg koproduziert wird, und unser Festival in einen internationalen, europäischen Kontext stellt.
Foto: privat
Weitere Infos: www.schlossfestspiele.de (ab Herbst)
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