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Wir werden weiter experimentieren! (2)

Lesezeit: 2 Minuten

Nachtschwärmerkonzert im BIX Jazzclub (Foto: Vincent Sima)

Im zweiten Teil des Gesprächs zwischen dem Dramaturgen Albrecht Dürr und Jürgen Hartmann gehen die beiden der Frage nach, ob es zwischen neuartigen Konzertformaten und konventionellen Konzerten Schnittmengen beim Publikum gibt.

Teil 1 des Gesprächs finden Sie hier.

Albrecht, Du hast sehr schön beschrieben, was ihr bei den Nachtschwärmerkonzerten alles ausprobiert habt. Es wird also nicht nur der konventionellen Konzertsituation eine neue äußere Form aufgepfropft?

Nein! Natürlich ist es zunächst die Art der Präsentation, die sowohl für Jazzfreunde als auch für Klassikliebhaber vom Gewohnten abweicht. Aber ich bin sicher, dass diese veränderte äußere Form die Wahrnehmung der Musik beeinflusst, also das Bewusstsein ändert. Die vorgestellte Musik ist zum Teil das, was man gerne Crossover nennt, zum anderen Teil unveränderte Musik in neuer Darbietung, aber gelegentlich auch Musik, die eigens für diesen Abend und sein Format geschrieben ist. (BW) Sie bringt Jazzmusiker und unsere Philharmoniker auf ganz neue Weise zusammen.

Sollen diese Experimente bei den Besuchern auch die Schwellenangst abbauen, die manch einer vielleicht gegenüber den großen Konzertsälen hat – und neues Publikum für diese Säle gewinnen?

Natürlich gibt es auch kaufmännische Hintergedanken, aber nicht in dieser Richtung. Ich glaube auch gar nicht, dass heutzutage noch Schwellenangst das Problem ist. Sondern es besteht eher bei vielen Menschen ein gewisses Desinteresse daran, was wir tun. Aber dieses Desinteresse sollten wir nicht gleichsetzen mit Ablehnung der Inhalte, also der Musik selbst. Es werden wohl doch eher die Darbietungsformen und die darin ja auch enthaltenen gesellschaftlichen Konventionen mit großer Skepsis betrachtet. Das Erstaunliche ist ja, dass bei den bisherigen Nachtschwärmerkonzerten eben nicht Abonnenten aus dem Beethovensaal oder BIX-Stammgäste gekommen sind. Sondern es kam sozusagen ein drittes Publikum, dem wir anmerkten, dass es sich sehr wohl für unsere Musik interessiert, aber diese eben gerne in anderen Zusammenhängen genießen will.

Bedeutet das aber nicht auch einen Verlust an Konzentration auf die Musik?

Da sollte man sich von Vorurteilen frei machen. Vielleicht werden ja die Strukturen der Musik sogar deutlicher? Im Jazz wird nach exponierten Soli der Instrumentalisten immer applaudiert, obwohl das Stück ja weiterläuft. Wenn hingegen im klassischen Konzert zwischen den Sätzen einer Sinfonie applaudiert wird, rümpfen wir die Nase. Man darf ja nicht vergessen, dass die uns vertraute Konzertform, also frontale Präsentation, stilles Publikum, eine Erfindung des späteren 19. Jahrhunderts ist. Vorher ging es bei Konzerten insgesamt viel munterer zu.

Darf ich Dich um eine Zwischenbilanz zu den Nachtschwärmerkonzerten bitten? Welche Probleme wurden aufgeworfen – und hat es Spaß gemacht?

Ich bin sicher, allen Beteiligten hat es Spaß gemacht und das hat sich auch aufs Publikum übertragen. Der logistische Aufwand ist beherrschbar, die finanzielle Seite ist natürlich nicht unbedeutend. Wir hatten tolle Gäste, es gab neue Kompositionen, das ist nicht gratis. Manche Abende stießen auf riesiges Interesse, bei anderen wie dem doch sehr esoterischen Abend mit sechs Beethoven-Quartetten war das Publikum überschaubarer. Aber wir werden weiter experimentieren. Man kann eben im eigenen Haus Dinge machen, die anderswo nicht gehen!

Die Nachtschwärmerkonzerte der Stuttgarter Philharmoniker werden in der Saison 2019/20 an drei Abenden fortgesetzt. Der nächste Termin ist der 6. Dezember mit dem Titel „Verklärte Nacht“.


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