Foto: Jean Baptiste Millot
Jochen Sandig will als neuer Intendant ab 2020 die Ludwigsburger Schlossfestspiele mit neuen und nachhaltigen Formaten prägen. Das hatte bereits Folgen: Überraschend hat der Bundestag eine zusätzliche Förderung des Festivals mit einer einmaligen Sonderzuwendung von drei Millionen Euro beschlossen. Wir haben versucht, die konkreten Absichten des Kulturmachers aufzuspüren. Die Fragen stellte Jürgen Hartmann.
Herr Sandig, ist das traditionelle Sinfoniekonzert erledigt?
Im Gegenteil. Ich liebe Sinfoniekonzerte, möchte aber mehr Menschen als die üblichen Verdächtigen dafür begeistern. Gustav Mahler sagt: „Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“ Musik ist eine universelle Sprache, die wirklich alle Menschen in ihrem Innersten verstehen und die viel Resonanz auslösen kann. Es ist wissenschaftlich erwiesen: Regelmäßige Konzertbesuche verschönern und verlängern das Leben. Wir können dabei auch die aktive Kunst des Zuhörens wieder erlernen, ohne die kein Zusammenleben in der Demokratie möglich ist.
Wenn Musik eine Sprache ist und ein sinfonisches Konzert eine Rede, so stellt sich zurecht die Frage nach der tiefen Botschaft. Um ein Beispiel zu geben: In Beethovens 6. Sinfonie, der „Pastorale“, wird das Verhältnis Mensch-Natur verhandelt. Ich denke, wir wissen und spüren alle, dass es gestört ist. Es stellt sich also die Frage, wie diese Sinfonie anders als üblich aufgeführt werden kann, um dieses Thema stärker in der Wahrnehmung zu reflektieren. Dafür versuchen wir mit der „Pixel Sinfonie“ nach einer Idee des Cellisten und Komponisten Michael Rauter eine Antwort zu geben, in dem das Orchester aus 30 Musikern in einem Hotel mit 30 geöffneten Fenstern hinaus auf einen öffentlichen Platz musiziert, wo der Zusammenklang sinfonisch im Wortsinn im öffentlichen Raum erfahrbar wird. Gleichzeitig kann das Publikum die Hotelzimmer aber auch individuell besuchen, um eine maximale Nähe zu den Musikern herzustellen. Ergänzend bieten wir Diskussionen an, in denen wir unser heutiges Verhältnis zur Natur befragen. Das Artensterben und der Klimawandel sind schließlich Themen, die uns alle betreffen.
„Dido und Aeneas“ von Henry Purcell und Sasha Waltz wird die Schlossfestspiele 2020 eröffnen (Foto: Bernd Uhlig)
Bedeuten neue Formate unter Umständen Abzüge beim künstlerischen Ergebnis? Besteht diese Gefahr Ihrer Erfahrung nach und wie kann man ihr begegnen?
Ich suche sehr bewusst nach Projekten, in denen durch das Zusammenspiel mehrerer Künste etwas wirklich Neues entsteht, ohne Einschränkung der Qualität in der jeweiligen Form. In der Choreographischen Oper „Dido und Aeneas“ von Henry Purcell und Sasha Waltz verschmelzen beispielsweise Tanz und Musik zu einem Gesamtkunstwerk. Gesang und Tanz werden dabei von herausragenden Solisten interpretiert und von einem Instrumentalensemble auf historischen Instrumenten begleitet. Gleichzeitig geht es um die kollektive Leistung eines Ensembles, bei dem alle Beteiligten am Ende den Applaus gemeinsam empfangen.
Dieses künstlerische Ergebnis ist nur möglich, wenn die Künste auf Augenhöhe miteinander arbeiten und dabei keine Kompromisse machen. Sonst besteht in der Tat die Gefahr einer wechselseitigen Schwächung. Ich bin kein Freund einfacher Rezepte und laufe nicht jedem Trend hinterher. Ich finde es vielmehr spannend, aus der Partitur heraus ein räumliches oder szenisches Konzept heraus zu entwickeln: Form follows function, d.h. der Inhalt bestimmt die Form und nicht die Form den Inhalt.
(Fortsetzung folgt)
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