Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Wie war’s bei „Glaube.Liebe.Meinung.“ im Theaterhaus?

Die Performance von BLOMST! nach Motiven des Dramatikers Ödön von Horváth will den aktuellen Umbrüchen und Abgründen in unserer Gesellschaft nachspüren. Ute Harbusch sah die Premiere im Theaterhaus Stuttgart, Jürgen Hartmann befragte sie dazu.

Jürgen Hartmann: Liebe Ute, auf einem Foto der Aufführung schauen drei Erwachsene und ein Kind – ja, wohin? Gen Himmel oder nur in die Scheinwerfer im Theaterhaus? Jedenfalls sehen die vier eigentlich recht hoffnungsvoll aus, aber gerade der Begriff Hoffnung wurde im Vergleich zu Horváth gestrichen und durch Meinung ersetzt. Um mit dem Ende anzufangen: Bleibt denn trotzdem ein wenig Hoffnung übrig?

Ute Harbusch: Die Textgrundlage war eine Collage aus Stücken und Prosa von Horváth, beißend, poetisch und mit vielen Parallelen zu unserer Zeit, inklusive der epidemischen „Grippe“, die sich damals verbreitet hatte. Dazu kamen Schauspiel mit Robert Atzlinger und Chris Irslinger und der schätzungsweise zwölf Jahre alten Gwendolyn, Tanz mit Martina Gunkel, vorproduzierte Videos mit Johanna Hanke, Anja Barth und Ismail El Ouahabi sowie Musik. Ein wirklich stringenter Bogen vom Licht ins Dunkel wurde nicht erkennbar, es waren, dem Horváthschen Vorbild folgend, eher lose gereihte Episoden. Hoffnungslos bin ich nicht aus dem Theater gegangen. Zum einen gab es ja ein wirkliches Kind, nicht ein von einer jugendlichen Schauspielerin gespieltes Kind, und um eines Kindes willen sollte man die Hoffnung nie aufgeben. Zum anderen gab es immer wieder auch witzige Situationen, die das Publikum mit Lachern quittierte.

Jürgen Hartmann: Was das Verhältnis von Komik und Tragik angeht, sagte Horváth, dass sich tragische Ereignisse im Alltagsleben oft in eine komische Form kleideten. Auch die Regisseurin von „Glaube.Liebe.Meinung“, Nina Kurzeja, nennt ihre Arbeit „eine Art Tramödie“, die zwischen trostlosem Ernst und Schmunzeln changiere. War diese Fallhöhe denn erkennbar, war sie berührend? Oder war es eher eine Art von Revue, aus der man sich das herauslas, was man ohnehin schon zuvor dachte und wusste?

Ute Harbusch: Die immer drastischer werdenden Auslassungen der fiktiven Reichsbürgerin im Video – toll gespielt von Anja Barth – konnten einem schon den Hals zuschnüren. Harmlose Tanzbewegungen verwandelten sich unversehens in rücksichtslose Rüpelei, bis hin zu einer Andeutung der Ermordung von George Flloyd. Aber insgesamt überwog das Leichte, Verspielte. Die drei Suchenden setzten sich Clownsnasen auf, illustrierten den Video-Bericht eines islamischen Gläubigen mit akrobatischer Pantomime, tanzten zu Schlagern. Der Meinungskrieg unserer Zeit trat hinter der Retrospektive zurück. Aus der sicheren Distanz von hundert Jahren durften wir mit dem Schlusslied „Die Erde dreht sich“ feststellen, dass sie das zuverlässig tut.

Jürgen Hartmann: Ja, das ist doch mal eine unanfechtbare Erkenntnis! Aber ich frage mich, ob eine solche Aufführung nicht nur inhaltlich die Parallelen zur gesellschaftlichen Situation um 1930 aufzeigt, sondern auch in der Herangehensweise an den Stoff: Man tanzt auf dem Vulkan oder, wie es in einer Ankündigung heißt, steht als Gesellschaft am Abgrund, aber man ist damit eigentlich ganz zufrieden, weil das alles so aufregend ist?

Ute Harbusch: Statt auf einem Vulkan tanzten die Darsteller:innen auf einer trapezförmigen, rosafarbenen Fläche mit scharf hervorgehobenen Umrissen. Sie spielten mit Drinnen und Draußen, aber Ausgrenzung fand nicht statt, ebenso wenig Vereinnahmung, die Positionen blieben volatil. Statt Aufregung überwog Ermüdung. Ja, jetzt, da du fragst, fällt mir auf: Keine Figur hat sich wirklich über irgendetwas aufgeregt, wodurch auch die Inszenierung ihr Potenzial an Aufregung einbüßte. Echte Überzeugungen trugen nur die Reichsbürgerin und der Gläubige auf der Videoleinwand vor. Die realen Figuren waren müde, gereizt und hatten sich offenbar mit der Erkenntnis aus Horváths Erzählung „Magazin des Glücks“ abgefunden: Falschgeld gab es schon im Paradies.

Foto: Peter Pöschl

Weitere Aufführungen am 20. und 21. April im Theaterhaus Stuttgart T4 (www.theaterhaus.com, www.blomst.art)


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Balance aus Pracht und Maß
    Mit dem Kammerchor und dem Barockorchester Stuttgart hat Frieder Bernius erneut eine Messe und weitere Werke von Jan Dismas Zelenka auf CD herausgebracht. Susanne Benda ist hellauf begeistert.
  • 200 gut singende Leute als Basis
    Der Schweizer Komponist Klaus Huber wäre am 30. November 2024 einhundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass gibt es in der Bad Cannstatter „Musik am 13.“ Hubers Werk „Sonne der Gerechtigkeit“. Die Kesseltöne haben den künstlerischen Leiter Jörg-Hannes Hahn dazu befragt.
  • Das Herbsträtsel: Wer schrieb das?
    Sie waren mehr als Freunde, mehr als Vertraute, mehr als Verbündete und mehr als Liebhaber. Wenn Beziehungen ein Puzzle sind, dann war ihres von Anfang an vollständig.
  • Die Kesseltöne lesen: Die große Versuchung
    Weil zwei Konzerte abgesagt wurden, haben Ute Harbusch und Petra Heinze den jüngsten Roman des peruanischen Literaturnobelpreisträgers Mario Vargas Llosa gelesen. Wäre Live-Musik ergiebiger gewesen?
  • Stehenbleiben wäre unkreativ
    In „Goldbergs Traum“ verbindet das Stuttgarter Kammerorchester Bachs Goldberg-Variationen nicht nur mit zeitgenössischen Kompositionen, sondern auch mit Künstlicher Intelligenz. Jürgen Hartmann sprach darüber mit SKO-Intendant und Initiator Markus Korselt.