Bösewichte haben keine Lieder? Heute wird scharf diskutiert über Böses und Bösewichte in der Kunst. Damit beschäftigt sich unsere Sommerserie. Als erster geht Jürgen Hartmann an den Start und denkt an seine Theaterzeit zurück.
„Wir machen alles anders!“ Das waren die ersten Worte des jungen Regisseurs, als er den Beteiligten einer anstehenden Operninszenierung sein Konzept vorstellte. Und da Musiktheaterleute zum Konservativen tendieren, stand er sofort als Buhmann da. Es folgten Proben mit viel Knatsch und gnadenlosem Kantinengeflüster, aber sechs Wochen später kam eine wunderbare Inszenierung auf die Bühne.
Ein paar Jahre später war ich Dramaturg an einem anderen Theater. Auf den Proben zu einer Operetteninszenierung wurde viel gelacht. Der Regisseur war ein Spaßvogel, niemand wurde böse, alle waren nett zueinander und hatten eine gute Zeit. Heraus kam die langweiligste, peinlichste Inszenierung, bei der mein Name jemals mit auf dem Programmzettel stand.
In unserer Sommerserie versuchen wir uns an der Frage, ob böse Menschen gute Kunst machen können. Zum Auftakt grabe ich in Theatererinnerungen. Eine kluge Kollegin beeindruckte mich früh mit der Feststellung, alle Theaterleute seien Hyänen. Sie wusste, was über ihren Mann, in hoher Position am Haus tätig, in der Kantine und in den Wohnzimmern des Ensembles so geredet wurde. Aber dieser Regisseur, so überspannt und verstörend er auch war, schuf großartige Inszenierungen mit geringen Mitteln.
Wenn das Leben schon kein Ponyhof sein soll, ein Theater ist ganz gewiss keiner, denn alle Beteiligten kehren ihr Innerstes nach außen. Machtmissbrauch ist das eine und muss eingedämmt werden; klare Ansagen und emotionale Kratzer sind das andere. Sind diese Kratzer, sind handfester Streit, Tränen bei Proben und Vorstellungen ein unvermeidlicher menschlicher Preis für ein herausragendes künstlerisches Ergebnis? Ist Hierarchie an sich etwa schon etwas Böses?
Regisseur:innen müssen hierzulande als erste den Kopf hinhalten für das, was auf der Bühne schiefgeht oder unverstanden bleibt. Das ist wohl eine Kehrseite des Regietheaters. Die oben zitierte Gattin eines Regisseurs sagte auch: Ihr Mann würde die Sänger:innen zu sehr lieben. Manchem Regisseur glaubte ich jedoch anzumerken, dass er hasst, was er tut, und auch die hasst, die tun, was er vorgibt. Vielleicht sind das die zwei Seiten des Künstlerdaseins, und vielleicht müssen sie sein: Nur Hass und Liebe zugleich lassen große Kunst werden. Eine unheimliche Vorstellung.
Foto: Plakat einer Bühnenfassung von „Doctor Jekyll and Mister Hyde“ (ca. 1900, Quelle: Wikimedia Commons)
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