Barak Marshall ist der neue Hauschoreograf bei Gauthier Dance. Die Kompanie hat ihn bereits ins Herz geschlossen, weiß unsere Autorin Angela Reinhardt.
Es dürfte nur wenige Choreografen geben, die schon mit Yo-Yo Ma und dem von ihm gegründeten Silk Road Project gesungen haben – Barak Marshall ist ein Multitalent und hat das Tanzen eigentlich nie richtig gelernt. Er studierte Soziologie und Philosophie in Harvard, fand sich unversehens als prämierter Choreograf und Kompaniedirektor in Israel wieder, verzichtete nach einem Unfall einige Jahre ganz aufs Tänze-Machen und dockt nun als Artist in Residence im Stuttgarter Theaterhaus an, wie die Stelle des festen Choreografen bei Gauthier Dance nach den internationalen Gebräuchlichkeiten im Tanz heißt.
Der sympathische Mann mit den schwarzen Locken ist derzeit im Dauereinsatz im Probenzentrum der Kompanie. „The Blue Brides“ hat er gerade für die Gauthier Juniors gemacht, die kleine, zweite Kompanie für junge Tänzer: ein so dunkles wie lustiges Stück über die Rache verschmähter Bräute. Nun arbeitet er an einer von zehn Uraufführungen fürs Jubiläumsprogramm „Fireworks“ zum 40-jährigen Geburtstag des Theaterhauses, und dann unternimmt er den gewagten Versuch, Jean Genets „Zofen“ als familienfreundliches Zaubermärchen für das Colours International Dance Festival im Juni aufzubereiten.
Marshall liebt das Absurde, steigert seine Menschen- und Gesellschaftsstudien gerne mit sarkastischem Witz. Seine Werke haben die Erdverbundenheit, die breitbeinige Bodenhaftung des israelischen Tanzes; genau wie die Kollegen Sharon Eyal oder Hofesh Shechter (der andere Artist in Residence bei Gauthier) liebt auch Marshall die Bewegung in Gruppen. Bei ihm aber steckt noch eine entscheidende Prise Theatralik und Pina Bausch drin – er sagt selbst, dass er stark vom Physical Theatre beeinflusst ist. Der Amerikaner mit israelischen Wurzeln hat eine gestenreiche Sprache entwickelt, voll von trockenem, oft fatalistischem Humor.
Den dunklen Teint hat Marshall von den indischen Ahnen seiner Mutter, der jemenitischen Jüdin Margalit Oved, einer legendären israelischen Tänzerin. Die Liebe zur Musik, zur jiddischen und zur amerikanischen, stammt vom Vater. Marshall kombiniert in seinen Stücken gerne Lieder und Songs aus der ganzen Welt, verwendet oft flotte Rhythmen. In Israel war er, nachdem sein allererstes Werk 1995 gleich einen Preis gewonnen hatte, Haus-Choreograf bei der Batsheva Dance Company, dem Mutterschiff der vielen erfolgreichen Tanzschöpfer, die aus dem kleinen Land in die ganze Welt strömen. Dann leitete er einige Jahre das Inbal Dance Theatre in Tel Aviv und kehrte später in die USA zurück, wo er an der University of Southern California choreografierte und seine Eltern pflegte.
An seinen beiden Heimatländern verzweifelt er im Augenblick, oder vielmehr an deren Regierungen, denn er liebt Israel wie auch seine Geburtsstadt Los Angeles. An Deutschland schätzt er die gründliche Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Die Gauthier-Tänzer, ob von der großen oder kleinen Truppe, haben ihn ins Herz geschlossen. Marshalls abgründiger Humor dürfte ein entscheidender Grund für Eric Gauthiers Wahl gewesen sein.
Foto: Theaterhaus/Jeannette Bak (Barak Marshall bei der Probe zu RENAISSANCE, 2024)
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