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Das Ensemble il Gusto Barocco draußen

Wie war’s bei il Gusto Barocco in der Johanneskirche?

Lesezeit: 2 Minuten

Ein Programm mit Instrumentalwerken von Gabrieli bis Scheidt präsentierte das Ensemble il Gusto Barocco in seiner „Stuttgarter Reihe“. Ute Harbusch war dabei und erzählte Petra Heinze davon.

Petra Heinze: Liebe Ute, wie war das Konzertprogramm gebaut?

Ute Harbusch: Die Stücke des Abends pendelten um die Epochenschwelle zwischen dem 16. und 17. Jahrhundert. Zu Beginn des Konzerts hat der künstlerische Leiter Jörg Halubek das Konzept kurz erläutert: Zwei grundsätzlich unterschiedene Arten, Musik zu machen, wechselten konsequent einander ab. Auf der einen Seite war das die instrumentale Mehrchörigkeit, die Giovanni Gabrieli in Venedig zur höchsten Blüte brachte. Wobei ‚mehrchörig‘ nicht bedeutet, dass gesungen wurde. Mit ‚Chor‘ ist vielmehr eine zusammengehörige Gruppe von Instrumenten gemeint, die einer anderen Gruppe gegenübersteht, mit dieser dialogisiert – in unserem Fall war das die Gruppe der Streicher aus zwei Geigen, zwei Celli und Violone, die der Gruppe der Bläser aus zwei Zinken und drei Posaunen gegenüberstand. Auf der anderen Seite hörten wir frühe Beispiele für die um 1600 beginnende Monodie, das einzelne, solistisch hervortretende Instrument mit Begleitung.

Petra Heinze: Auf der Veranstalter-Website war zu lesen, dass es um die damals entwickelte Wirkung der im Raum verteilten Gruppen ging. Hat das in der neogotischen Johanneskirche funktioniert?

Ute Harbusch: Neogotik passt natürlich nicht wirklich zu Spätrenaissance. Aber die Johanneskirche besitzt eine fast komplett umlaufende Empore, und diese konnte das Ensemble ausgezeichnet und in immer neuen Varianten nutzen. Die Stimmgruppen waren rechts und links, oben und unten, vorne und hinten platziert. Kaum ein Stück hatte dieselbe Aufstellung wie ein anderes. Am eindrücklichsten fand ich es, als die Streicher vor uns beim Altar und die Bläser hinter uns auf der Orgelempore postiert waren. Da saßen wir mitten drin im Klang, das war sehr schön. So schön, dass ich bei den konzertierenden Solostücken bedauert habe, dass diese nur von vorne kamen – so, wie ja seitdem die allermeisten Konzertsäle gebaut sind.

Petra Heinze: Heißt ‚sehr schön‘ auch, dass die Musiker:innen sehr gut waren?

Ute Harbusch: Unbedingt. Es ist Jörg Halubek gelungen, die schnell wechselnden Einsätze bei teilweise ja großem räumlichem Abstand flüssig zu koordinieren. Wenn er nicht am Cembalo saß, hat er mit großen Bewegungen dirigiert, wobei er selbst mal vorne, mal mitten im Kirchenschiff stand. Außerdem waren die Darbietungen ungemein virtuos, sowohl die Solosonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber oder Giovanni Antonio Pandolfi Mealli mit der Geigerin Eva Saladin als auch die chorischen Stücke. Denn innerhalb der Instrumentengruppen agieren die einzelnen Stimmen auch wieder solistisch, tun sich durch schnelle Läufe und Verzierungen hervor. Der Gesamtklang war voll und ausgewogen, die Interpretation ausdrucksvoll, meist getragen, mal voller Schmerz wie in Samuel Scheidts „Courant dolorosa“, mal tänzerisch und fröhlich wie in einer Ciaccona von Tarquinio Merula.

Petra Heinze: Und war das Musik für den Hof oder für die Kirche?

Ute Harbusch: Sowohl als auch. Wir hörten Musik für kirchliche Vespern und höfische Lustbarkeiten, für den Tanzsaal und die Kammer, Prächtiges und Andächtiges. Den einen Ort für all diese unterschiedlichen Stücke gibt es nicht. Unsere historistische Fantasiekirche war also auch in dieser Hinsicht ein passender Aufführungsort.

www.ilgustobarocco.de

Foto: Luis Vidal


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