Beim Stuttgarter Eclat-Festival 2025 feierten die Neuen Vocalsolisten ihr 25-jähriges Bestehen als Kammermusik-Formation. Susanne Benda war beeindruckt von den Auftritten der Stimmvirtuos:innen, die immer mehr sind als nur Konzerte.
„Reden ist schweigen. Silber ist Gold“: Der Text auf der Leinwand ist ein Wahlplakat, und der passende Politiker dazu betritt auch gleich den Saal. Geht zum Rednerpult auf der Bühne. Zupft an der Krawatte. Pathetische Gesten, gesungenes Gebrabbel, mal laut, mal leise. „Wählen Sie mich!“, soll das wohl heißen, und im Vorfeld der Bundestagswahl amüsiert sich das Publikum im Stuttgarter Theaterhaus prächtig darüber, wie Bernhard Lang in „Loops for Basses“ das Kandidatensprech-Klischee in den für seine Musik typischen Loops ersticken lässt.
Das augenzwinkernde Stück lebt vom Kommentar des Kontrabassklarinetten Theo Nabicht, der neben dem Wahlkämpfer virtuos zwischen Support und Gegenrede wechselt. Und es lebt vom szenischen Talent des Sängers. Solist ist Andreas Fischer, eines der ausdrucksstärksten Mitglieder der Neuen Vocalsolisten Stuttgart. Dieses Ensemble feiert 2025 sein 25-jähriges Bestehen als Kammermusik-Formation, und beim Neue-Musik-Festival Eclat hat es jetzt bewiesen, dass stilistische Breite zu seiner DNA gehört.
Zu erleben war die ganze Breite jenes Genres, das die Neuen Vocalsolisten in überwiegend fester Besetzung seit dem Jahr 2000 für sich erfunden und weltweit etabliert haben. Als „vokales Kammer-Musik-Theater“ bezeichnen sie ihre eigene Mischung aus Gesang, Sprache und mal mehr, mal weniger szenischer Aktion. Das passt schon deshalb, weil die meist sechs, mit Countertenor manchmal sieben Sängerinnen und Sänger in den wenigsten Fällen nur ihre Stimmbänder benutzen, sondern zusätzlich mindestens Zunge, Kehle, Hände. Manchmal auch Instrumente und Gebrauchsgegenstände. Und oft weitet sich der Halbkreis zur Szene – durch Gesten, Mimik, Momente körperlicher Kommunikation.
Virtuos war schon der Start im Eröffnungskonzert. Alex Paxtons „How to Eat your Sexuality“ ist weniger ein Konzertstück als ein Fest der Diversität – ein hochkomplexes allerdings, und was die Neuen Vocalsolisten dabei alleine oder auch im Zusammenwirken mit dem Klangforum Wien an sauberster Intonation und Linienführung zuwege brachten, machte schon deshalb staunen, weil das Stück auf radikale Weise Verschiedenes gegeneinanderstellt und parallel ablaufen lässt. Ein knallbuntes, beglückendes Stück der Überforderung – für die Interpretinnen und Interpreten ebenso wie für jene, die ihnen ihre Ohren liehen.
Weiter ging es mit zwei Konzerten, die vollgepackt waren mit sehr Unterschiedlichem. Mal war der Gesang, wie in Kuba Krzewinskis „Trigger Warning“, nur Hintergrund für eine dokumentarische Erzählung über den Burnout in der und um die Kunstproduktion, mal stand die Schönheit der Stimme im Mittelpunkt wie in Luxa Mart*in Schüttlers Stück „Diskreter Wolf“, das ein Eichendorff-Lied Hugo Wolfs liebevoll in Slow Motion-Segmente zerteilte und mit elektronischer Hilfe in veränderter Weise neu zu einem wirkungsvollen Raum-Klang-Werk zusammensetzte.
Das Ensemble ist sich auch nicht zu schade, mal nur wenige Töne zu summen, wie etwa in Uwe Raschs „Kinderstücken“, die „systemsprengenden“ Kindern eine Stimme und den Zuhörenden ein mulmiges Gefühl im Bauch verschafften. Dass die Musik dabei eher eine Nebenrolle spielte, passt zum Image dieses Festivals, das nie nur die Neue-Musik-Nische bedienen, sondern sich immer auch gegenüber den Zeitläuften positionieren will.
Die Neuen Vocalsolisten gehören zu dieser Eclat-CI. Schon deshalb ist zu hoffen, dass das Ensemble die bevorstehenden altersbedingten Neubesetzungen meistert. Eine Truppe wie diese, die ein ständig wachsendes zeitgenössisches Repertoire pflegt, jährlich etwa dreißig neue Werke und immer wieder neue Präsentationsformate erarbeitet, gibt es nämlich sonst nirgends, sie ist nicht zu ersetzen.
Foto: Martin Sigmund
Konzertaufzeichnungen der diesjährigen Festival-Ausgabe, u. a. der Neuen Vocalsolisten, sind abrufbar unter www.eclat.org/programm/.
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