Vorne erweiterte Realität im Smartphone, dahinter die Musiker:innen, Foto: Oliver Röckle
Deutlich mehr Resonanz als das konzertübliche Klatschen fordert ein Augmented-Reality-Projekt des Stuttgarter Kammerorchesters beim Publikum ein. Es ist bis zum 26. August auf dem Stuttgarter Kleinen Schlossplatz zu erleben und wandert dann in weitere Städte. Ute Harbusch und Petra Heinze waren bei der Premiere und haben sich ausgetauscht.
Petra Heinze: Liebe Ute, wie fandest Du es, das Stuttgarter Kammerorchester mit „Shaker Loops“ von John Adams mitten in der Stadt im Freien zu hören?
Ute Harbusch: Goldrichtig! Die Bankgebäude vor mir, Cafégäste rechts und links, die Geräusche der Stadt von allen Seiten, habe ich mich gefragt: Warum geht die Musik eigentlich sonst in den Konzertsaal? Es hatte etwas von Straßenmusik und Artistik, schließlich fordert die Komposition in puncto Geschwindigkeit und Koordination eine hör- und sichtbare Virtuosität, bei der ich mitfiebern kann. Das haben die sieben Musiker:innen des Orchesters charmant gemeistert. Das Stück wurde aber nicht vollständig gespielt.
Petra Heinze: Das war ja auch eigentlich nur das Vorspiel. Geladen waren wir zu einem Augmented-Reality-Projekt.
Ute Harbusch: Was vergrößerte oder erweiterte Wirklichkeit bedeutet, und zwar mithilfe digitaler Technik. In diesem Fall abrufbar auf den Smartphones der Besucher:innen beziehungsweise Teilnehmer:innen. Nach dem Livekonzert waren wir nämlich eingeladen, selbst zu Musiker:innen zu werden. QR-Codes einer Floorgraphic haben jeweils eine der sieben Streicherstimmen aufs Handy gespielt, nach einer Weile flogen auf dem Bildschirm zudem noch bunte Schleifen durch die Luft. Die Idee ist, dass auf den Handys die ganze Partitur von John Adams mit allen Stimmen erklingt. Gab es in Deinen Augen tatsächlich einen Mehrwert im Sinne einer Augmented Reality?
Petra Heinze: Selbst zusammen mit anderen zur Musiker:in zu werden, ist schon ein verlockendes Angebot. Bei der Premiere war es jedoch eher eine Soloperformance, weil die übrigen Mitspielenden, circa 50 Besucher:innen, eher in ihre Gespräche vertieft waren als in ihre Smartphones. Da schlug die analoge Realität die digitale um Längen … Der SKO-Intendant Markus Korselt erklärte uns, dass an diesem umtriebigen Platz ursprünglich ein Ort der Stille entstehen sollte. Also verließen wir das Geschehen und kehrten nach einem guten Abendessen zurück …
Ute Harbusch: Das ist ja das übliche Vernissage-Phänomen. Als wir wiederkamen, herrschte tatsächlich Stille um die Floorgraphic. Wir haben einzelne Stimmen angespielt und uns gewundert, dass man die Komposition, so aufgeteilt, gar nicht wiedererkennt. Ein paar Passant:innen interessierten sich für die Installation und die auf dem Boden aufgebrachte Anleitung, haben aber die nötige App nicht heruntergeladen. So blieb es beim Solo, das immerhin einen pädagogischen Mehrwert hatte, wie bei einem Erklärkonzert, wo einem ja auch einzelne Stimmen vorgespielt werden. Hast Du denn einen Bezug zwischen Musik und Animation erkennen können?
Petra Heinze: Die bunten Schleifen waren ebenfalls Loops und nachdem ich mich schon als Musiker:in gefühlt habe, dachte ich in einem kleinen Anfall von Größenwahn zunächst, ich könnte mit den Bewegungen des Handys diese Loops beeinflussen. Die führten jedoch eindeutig ein Eigenleben. Das fand ich dann eigentlich gut: Wäre die Kunst überhaupt noch Kunst, wenn sie sich dem Betrachter unterordnet? Wie weit kann die Teilhabe des Publikums gehen, ohne dass die Dinge beliebig werden? Auch wenn das Experiment noch nachjustiert werden muss, damit Menschen mitmachen, so hat es doch viele grundsätzliche Fragen aufgeworfen.
Ute Harbusch: Und Farbe in die Stadt gebracht. Man könnte sich dort ja mal mit Freunden zum Konzert verabreden, abends um 20 Uhr, in Konzertkleidung …
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