Hier verrät unsere Redakteurin Ute Harbusch, was geschah, nachdem sie im Konzert in tiefen Schlummer gefallen war.
Irgendwo zwischen der Jugendsinfonie von Mendelssohn und dem Beethoven-Klavierkonzert bin ich wohl eingeschlafen. Als ich wieder zu mir kam, traute ich meinen Augen nicht: Hinten im Saal hatte eine Bar aufgemacht. Einige aus dem Publikum saßen mit ihren Getränken an runden Bistrotischen, andere auf weichen Matten. Das Paar, das eben noch neben mir geschlummert hatte, entdeckte ich mitten im Orchester, hellwach und mit gespitzten Ohren, er bei den Celli, sie zwischen Oboe und Fagott. Die Jugendlichen, die nur mal kurz reinhören wollten, hielten sich im Hintergrund oder entspannten sich draußen neben den Springbrunnen. Das Konzert wurde ins Freie übertragen.
Ich kaufte mir ein kühles Getränk an der Bar – ah, welche Wohltat –, zögerte kurz, entschied mich dann aber gegen einen Tisch und für einen der bequemen Sessel. Von dort hatte ich die kleine Publikumsgruppe gut im Blick, die sich in den letzten Tagen intensiv auf das heutige Programm vorbereitet hatte. Vielsagende, zustimmende, fragende Blicke, Kopfschütteln, Kopfnicken begleiteten die Darbietung. Nach der wirklich sehr gelungenen, frei improvisierten Kadenz brachen sie spontan in Beifall und begeisterte Rufe aus. Der junge Pianist wurde feuerrot vor Freude und bedankte sich mit einem artigen Kopfnicken.
Die 83-jährige Dirigentin, die den Abend auch moderierte, bat um ein wenig Geduld für den anstehenden Umbau. Kein Problem, wir holten uns frische Getränke oder besprachen mit der Nachbar:in das Gehörte. Auf das Sinfonieorchester folgte ein Klaviertrio, das der Publikumsbeirat ausgesucht hatte, dann ein neues Stück für Schlagzeug. Zuvor erklärten die Musiker:innen die Funktionsweise der schon rein optisch eindrucksvollen Reihe von Instrumenten und Geräten, die sie dann so virtuos handhabten, dass der begeisterte Saal sich ein Encore erklatschte. Beim zweiten Hören war die raffinierte Struktur des Stücks schon ein wenig besser zu verstehen.
Erneuter Umbau. Kein Problem. Wir hatten ja Zeit. Die Veranstaltung hatte um fünf Uhr begonnen, Angestellte waren von ihren Arbeitgebern freigestellt worden. Interessiert schaute ich dem geschäftigen Treiben auf der Bühne zu. Stühle, Notenständer, Instrumente wurden herbeigetragen, verschoben, auf- und zugeklappt. Währenddessen erfuhren wir, dass sich die riesige Orchesterbesetzung, die das folgende Werk fordere, aus Kostengründen nicht hatte realisieren lassen. Aber die eigens erstellte Kammerversion ließ nichts zu wünschen übrig, im Gegenteil, das bekannte Stück klang wie neu. Der Chor war dank der Beteiligung einiger Schul- und Amateurchöre in voller Stärke angetreten. Im großen Finale durfte sogar das Publikum mit einstimmen oder auf einer Vogelwasserpfeife mittun. Oder einfach zuhören.
Der Saal öffnete sich ins große Foyer, wo an zwei, drei langen Tischen ein Abendessen vorbereitet war für diejenigen, die sich über das Erlebte austauschen wollten. Das Schöne an diesem Konzerthaus war, dass man sich den ganzen Tag darin aufhalten und wohlfühlen konnte. Auch Krabbelgruppen, Hausaufgabentreffs und Seniorenspielkreise kamen tagsüber gerne hierher. Am emsigsten diskutierte jetzt natürlich besagte Publikumsgruppe. Die Mitglieder des Klaviertrios, zwei Schlagzeugerinnen und einige Chorsängerinnen und Orchesterspieler gesellten sich dazu. Kein Reisebus stand mit laufendem Motor bereit, um die Künstler:innen zur nächsten Tourneestation zu bringen, denn es wohnten alle am Ort.
Schließlich machten wir uns mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Heimweg, nicht ohne vorher den uns angemessen erscheinenden Betrag für diesen erlebnisreichen Abend entrichtet zu haben.
Im Lauf des nächsten Tages erschienen in den örtlichen Printmedien, online und am Schwarzen Brett des Konzerthauses sieben Besprechungen. Sie erhielten in den folgenden Wochen eine Vielzahl an Kommentaren.
Foto: Daniel Kondrashin, Pexels
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