Ausgangspunkt dieser Sommerserie waren Zeitungsberichte über moralische Verfehlungen von Künstler:innen. Während Jürgen Hartmann den Hass für einen wichtigen Bestandteil von Kunst hält, glaubt Petra Heinze, dass die Kunst den Hass verwandeln kann.
Von Freud haben wir gelernt, dass mancher Mensch ein sehr strenges Gewissen hat. Dieses stelle ich mir vor wie einen amerikanischen Richter, der mit seinem Hammer nur ein Urteil kennt: Schuldig, bäm! Schuldig, bäm! Schuldig, bäm! Dieser innere Richter übererfüllt quasi seinen Job und verhindert nicht nur, dass der arme Mensch Böses tut, sondern nimmt ihm noch dazu seine Lebensfreude. Dieser Mensch versucht nun durch Büßerdienste das Gewissen milde zu stimmen, was aber kaum gelingen kann. Er ist dieser nette Zeitgenosse, der immer allen hilft.
Vielleicht ist die Kunst ein Mittel, mit einem derart wüsten Gewissen zurechtzukommen? Mal vorausgesetzt, das Gewissen ist ein ausgewiesener Kunstliebhaber, so könnten die derart Gepeinigten Geburtshelfer:innen der Kunst werden und als Dramaturg:innen, Manager:innen, Werbefachleute und Ähnliches doch noch ein zufriedenes Leben führen.
Dann gibt es jene Menschen, die so viel Aggressivität in sich tragen, dass ihr Gewissen damit völlig überfordert ist und selbst zum Sadisten wird. Aus dem Richter wird nun ein Henker. Das ist ja nicht der intellektuellste Job auf Erden. Der Henker kann daher überlistet werden: Der Mensch erzählt ihm einfach, nicht er hätte diese Bosheiten begangen, sondern jemand anderes. Das kann dann jeden treffen, insbesondere alle, die schwächer scheinen oder sind als besagter Mensch und möglichst auch weniger Lobby haben als dieser.
Ein derart an der Nase herumgeführtes Gewissen lebt dann nicht gegen, sondern zusammen mit dem Menschen seinen Sadismus aus. Beide zetteln schlimmstenfalls Hexenjagden, Pogrome und Ähnliches an, und es gibt kaum noch Hürden, die das verhindern können. Hier hat die Kunst verloren, fürchte ich.
Schließlich soll es noch Menschen geben, die wenig bis gar kein Gewissen haben. Die Stelle ist quasi vakant. Das sind eventuell kaltblütige Mörder:innen, die entweder unerkannt unter uns leben oder aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und weggesperrt werden. Vielleicht sind es aber auch Künstler:innen, die negative Energie in bewunderungswürdige Kreativität umwandeln können und sich einfach nur weniger unnötige Schranken auferlegen als andere Menschen. Böse Taten kommen dann in den Kunstwerken vor und werden nicht in der Realität ausgeführt. (Das würde nebenbei erklären, warum der Schurke immer die interessanteste Person im Roman ist).
Diese Sichtweise gestattet uns einen neuen Blick auf die Verfehlungen einiger Künstler:innen: Ohne ihre Kunst hätten wir vielleicht noch viel mehr Ärger mit ihnen. Und nur, weil wir uns eine ideale Welt wünschen, möchten wir Menschen mit außergewöhnlichen Talenten auch ein außergewöhnlich moralisches Leben zuschreiben.
Foto: Petra Heinze, abgelichtet von Victor S. Brigola
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