Foto: Julia Nguyen
Die neue Intendantin der Stuttgarter Philharmoniker heißt Carolin Bauer-Rilling. Seit 1. Oktober ist sie im Amt. Zuvor war sie als Projektleiterin des Künstlerischen Betriebsbüros der Tonhalle Zürich unter anderem für die Weiterentwicklung von Programmformaten zuständig. Jürgen Hartmann hat mit ihr über ihre Pläne mit dem Orchester der Stadt Stuttgart gesprochen.
Jürgen Hartmann: Frau Bauer-Rilling, sind Sie denn schon in Stuttgart zu Hause?
Carolin Bauer-Rilling: Zu Hause vielleicht noch nicht – aber ich fühle mich herzlich willkommen geheißen. Und das ist doch die beste Voraussetzung, um sich bald ganz zu Hause zu fühlen! Ich komme ja als gebürtige Neckarsulmerin und Wahltübingerin aus der Region. Umso mehr freue ich mich, nun auch wieder beruflich hier anzukommen.
Jürgen Hartmann: Im frühen Frühjahr konnte man den Eindruck haben, dass die politisch Verantwortlichen die Kultur vergessen hatten. Da gab es Frustration, Depression und viel dazwischen. Wie fühlt sich da der Start einer neuen Intendanz an?
Carolin Bauer-Rilling: Ich sage es ganz offen: Es ist eine immense Herausforderung für alle Kulturschaffenden. Ich glaube, wir versuchen diese Situation bestmöglich zu meistern, indem wir nun erst recht auf Kultur setzen. In meinem Falle heißt das, dass ich mich so schnell wie möglich einarbeite und mit allen Beteiligten in direkte, auch mal unverblümte Gespräche gehe. Das Ziel ist, das bestehende Konzertangebot für unser Publikum zu realisieren, unter Gewährleistung hoher künstlerischer Qualität, aber eben auch mit den notwendigen Anpassungen. Wir müssen aber auch herausfinden, wie wir für die Bürger und Bürgerinnen Stuttgarts und der Region weitere Möglichkeiten schaffen können, um in Zeiten wie diesen gemeinsam Musik zu erleben.
Jürgen Hartmann: Beim Aufwachen aus der Lockdown-Phase sind allerorten und unversehens auch neuartige Konzertformate entstanden. Waren das Notlösungen oder glauben Sie, dass die Corona-Pandemie und ihre Folgen unseren gewohnten Konzertbetrieb langfristig und tiefgreifend verändern werden?
Carolin Bauer-Rilling: Es sind bei den vielen Aktivitäten, die ja durchaus der Not geschuldet waren, auch Formate entstanden, die bleiben werden. Denn sie haben eine ganz neue Nähe ermöglicht und wirklich intime und berührende Momente für alle Beteiligten geschaffen. Das finde ich wirklich schön. Es zeigt doch die Kraft der Musik und des gemeinsamen Erlebens. Aber ebenso müssen wir den Blick nach innen richten. Viele Institutionen werden trotz veralteter Strukturen voraussichtlich keinen Wandel vornehmen, sondern sobald als möglich zum vorherigen Regelbetrieb mit seinen bekannten Abläufen zurückkehren. Dabei hätten wir doch genau jetzt die Möglichkeit zu prüfen, was sich eben auch anders organisieren lässt! Ich bin überzeugt, dass wir uns als Orchester- und Konzertbetriebe mittel- bis langfristig anders aufstellen müssen. Agiler, offener und flexibler in unseren Strukturen.
Jürgen Hartmann: Man hat in den letzten Jahren viel vom atmosphärischen Umfeld eines Konzert- oder Theaterbesuchs gesprochen, diesen oft sogar in den Vordergrund geschoben. Gilt’s nach den Erfahrungen der Pandemie womöglich wieder mehr der Musik?
Carolin Bauer-Rilling: Ich empfinde es durchaus so, dass ein Konzertbesuch eine gewisse Anmutung hat oder sogar atmosphärisch aufgeladen werden kann. Der Kern eines Konzertbesuchs ist aber für mich die Musik. Diese ist immer Ausgangspunkt unseres Wirkens. Wenn sie von der Musik aus gedacht sind, begrüße ich Inszenierungsansätze und gut durchdachte, stringente performative oder interruptive Versuchsanordnungen. Und ich hoffe für die Zeit nach der Pandemie auf eine große Neugier, Offenheit und Lust darauf, Musik in all ihrer Vielfalt zu begegnen.
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