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„Dem allerschrecklichsten Wesen“

Lesezeit: 2 Minuten

Die Pianistin Sophia Weidemann hat Fanny Hensels Klavierzyklus „Das Jahr“ auf ihrer aktuellen CD mit Briefen und Tagebucheinträgen der Komponistin verbunden. Jürgen Hartmann überlegt, ob das eine gute Entscheidung war.

Hybride Formate auf dem Konzertpodium sind keine Seltenheit mehr: Gern wird Musik mit Texten ergänzt und das ist – meistens – auch gut so. Oder wenigstens lehrreich. Oder gar unterhaltsam.

Auch die in Filderstadt geborene und in Stuttgart ausgebildete Pianistin Sophia Weidemann kombiniert den Klavierzyklus „Das Jahr“ von Fanny Hensel mit Gesprochenem. Hier sind es Briefe und Tagebucheinträge der Komponistin, die ihre künstlerische Berufung nur als Nebensache ausübte, weil Vater und Bruder es eben so wollten. Diese zwei Männer nämlich waren berühmt und agierten überaus selbstbewusst in unterschiedlichen Metiers: Abraham und Felix Mendelssohn Bartholdy.

Irritierend launig liest die erfahrene Sprecherin Tinka Kleffner zum Auftakt der CD aus einem Brief Fanny Hensels, in dem sich die bald Vierzigjährige über die Kombination „Frau“ und „Dilettantin“ in drolligem Ton, aber wohl nur scheinbar lustig macht: Die Aufforderung an den Empfänger, sich dem daraus entstehenden „allerschrecklichsten Wesen“ wohlwollend zuzuwenden, hat auch etwas durchaus Verzweifeltes, Sarkastisches.

Man kommt aus dem Grübeln darüber noch nicht heraus, wenn gleich darauf Sophia Weidemann mit dem „Januar“ startet und ist doch schon nach wenigen Augenblicken bass erstaunt über Fanny Hensels Musik, die nach ihrem Tod 1847 in Vergessenheit geriet und dort länger als zwei Jahrhunderte verblieb. Die teils wie improvisiert wirkende, detailverliebte, bildkräftige Beschreibung der Monate, kunstvoll durchwebt von passenden Zitaten oder stilistischen Versatzstücken, steht – man muss es so sagen – in nichts hinter dem berühmten Bruder zurück, der zeitlebens die Begabung der Schwester als Komponistin, Pianistin und sogar Dirigentin eigener Werke zwar anerkannte, sie der Öffentlichkeit jedoch allenfalls unter Protest zugänglich machen wollte.

Und so geht es weiter, das Wechselbad aus dem Staunen über Fanny Hensels musikalische Genialität und immer wieder, angesichts der eingelegten Texte, dem Bedauern darüber, dass daraus nicht mehr werden konnte. Sophia Weidemann spielt „Das Jahr“ ganz wunderbar, mit großer Bandbreite des Ausdrucks und technisch tadellos, Tinka Kleffner skizziert treffend den Zwiespalt, in den Fanny Hensel geriet angesichts ihres künstlerischen Drangs und den Verhältnissen, die in jovialen Ermahnungen des Vaters klargestellt werden. Nur selten und nur im Konjunktiv deutete sie ihre Unzufriedenheit mit diesen Verhältnissen an: „Daß man übrigens seine elende Weibsnatur jeden Tag, auf jedem Schritt seines Lebens von den Herren der Schöpfung vorgerückt bekömmt, ist ein Punkt, der einen in Wuth, u. somit um die Weiblichkeit bringen könnte, wenn nicht dadurch das Uebel ärger würde“, schrieb sie 1829 an den Diplomaten Karl Klingemann, einen Freund der Familie.

Wird der rein musikalische Genuss dieser CD durch die eingelegten Texte getrübt? Ja, das wird er. Aber die Trübung gehört in diesem Fall zur Sache: Man wird zum Nachdenken über besagte Verhältnisse gezwungen und darüber, ob sie sich grundlegend geändert haben. Und das ist gut so.

Foto Sophia Weidemann: Peter Adamnik

www.sophia-weidemann.com
www.genuin.de (CD-Label)


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