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Der Tag danach

Moritz Puschke im Theaterhaus, Foto: Roberto Bulgrin

Kulturschaffende arbeiten oft unter Hochspannung auf große Ereignisse hin: Festivals, Premieren, Ausstellungen und mehr. Und was tun sie am Tag danach? Wir haben mal nachgefragt.

Von Petra Heinze

Vor dem „Tag danach“ fürchte ich mich immer ein wenig und habe den Eindruck, dass diese Furcht mit den Jahren sogar zunimmt. Warum? Für mich heißt es in den meisten Fällen Abschied zu nehmen von der jeweiligen Ausrichterstadt. Nach dem Deutschen Chorfest letztes Jahr in Stuttgart war es extrem: Über zwei Jahre Planung und Aufbau von Beziehungen mit vielen wunderbaren Stuttgarter Musikern, Räumen, Plätzen und Förderern, den rauschhaften vier Festivaltagen voller Konzerte, tausender glücklicher Menschen, und dann mit einem Schlag die totale Leere am Montag danach.

Wie jeden Morgen bin ich an jenem Montag zum Abreagieren im Schlosspark joggen gewesen und anschließend ganz alleine auf dem Fahrrad alle Spielstätten abgefahren, habe dem Abbau der Open Air-Bühne am Schlossplatz zugesehen und mich nach und nach ganz still verabschiedet. Noch kurz bei Kuhns Pressechef im Rathaus „Tschüss“ gesagt und dann wiederum ganz alleine am Nachmittag in den Zug nach Berlin gestiegen und nach Hause gefahren. Meine Leute im Team waren irritiert und möglicherweise auch sauer – sorry, aber an Kommunikation war an diesem Tag für mich nicht zu denken. Das Loslassen, dabei die Traurigkeit gepaart mit dem Glück über das Gelungene zu spüren, empfinde ich als etwas sehr Intimes und möchte mir dafür auch in Zukunft die Zeit am „Tag danach“ nehmen.

Moritz Puschke, Künstlerischer Leiter des Deutschen Chorfests, 2016 in Stuttgart

Die Antwort ist recht einfach: Ich gehe wieder ins Büro und widme mich den nächsten Aufgaben. Denn wir vermitteln an unsere Mitglieder über 3000 Kulturveranstaltungen in und um Stuttgart aus den Bereichen Oper, Tanz, Konzert, Theater, Literatur, Jazz, Kino und Kunst. Und wenn wir selbst Veranstalter sind, wie in den Bereichen Konzert, Tanz und Kunst, können wir uns auf die bestens eingespielten Abläufe mit unseren fabelhaften Partnern verlassen. Allenfalls kann es mal passieren, dass wir in vorletzter Sekunde noch einen Kontrabass oder hunderte Quadratmeter schwarzen Samt oder Ersatz für eine ausgefallene Garderobiere besorgen müssen. Eher überschaubare Aufregungen also – auf diesem Gebiet.

Ulrike Hermann, Leiterin der Geschäftsstelle der Kulturgemeinschaft Stuttgart

Alles muss auf den Punkt geplant sein – über Wochen, Monate und Jahre betreut man ein Projekt. Es kostet Zeit und Nerven, wächst einem aber auch sehr ans Herz – auf einmal ist es abgeschlossen. Dies ist immer ein Moment, in dem verschiedene Gefühle auftauchen: Stolz auf das Geschaffte, aber immer auch etwas Wehmut. Doch zum Glück hat man mit der Nachbereitung immer noch genug zu tun. Am nächsten Tag geht es also ganz normal ins Büro – der Unterschied? Es geht vielleicht einmal ausgeschlafen ins Büro. Dort fange ich an, Dinge zu sortieren und aufzuräumen. Das macht den Kopf frei, für alle weiteren Projekte – die natürlich schon darauf warten, nun die gleiche Aufmerksamkeit zu bekommen wie das eben abgeschlossene.

Bettina Pau, Geschäftsführerin der Kulturregion Stuttgart

Am Tag nach einer Opernpremiere geht es für mich nahtlos weiter: „business as usual“, sozusagen – falls es so etwas am Theater überhaupt gibt. Egal, wie lange in der Nacht bei der Premierenparty gefeiert und getanzt wurde: für Katerstimmung am nächsten Morgen bleibt keine Zeit. Alles, was vor der Premiere vielleicht liegengeblieben ist, will aufgearbeitet werden. Sowieso: nach der Premiere ist  vor der Premiere!

Jossi Wieler, Intendant der Oper Stuttgart


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