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Die Kesseltöne lesen: „Beethovn“ von Albrecht Selge

Ute Harbusch (oben im Bild) und Petra Heinze sprechen über „Beethovn“, den jüngsten Roman des Schriftstellers und Musikkritikers Albrecht Selge.

Ute Harbusch: Auf dem Cover von „Beethovn“ sieht man einen Ausschnitt von Caspar David Friedrichs Gemälde „Der Watzmann“ . Wie passt das zu Beethoven?

Petra Heinze: Auf dem Bild ist der Watzmann ein ferner Gigant. Im Vordergrund sieht man mehrere kleine Felsformationen, die sich dem großen Berg zuzuwenden scheinen wie Pflanzen der Sonne. Bezogen auf Selges Buch heißt das, es geht weniger um den großen Beethoven, als um normal sterbliche Menschen und wie sie seine Musik aufnahmen. Eine Reihe empfindsamer Kritiker ist das, die teils amüsant, teils ergreifend über Beethovens Musik sinniert. Wie liest das die Beethoven-Kennerin Ute Harbusch?

Ute Harbusch: Mit wachsendem Vergnügen habe ich das Buch als Schlüsselroman gelesen. Beethovens niederländische Ururururgroßmutter, der Geiger Schuppanzigh, der Neffe Karl oder Gerhard von Breuning, der kleine Sohn des Jugendfreundes Stephan von Breuning, sind die Protagonisten je eines Kapitels. Oder auch die Haushälterin und ein Polizeispitzel: Lauter reale Figuren mit fiktiven Gedanken über Beethoven. Viele Schlüssel liefert übrigens die Beethoven-Biografie von Jan Caeyers, der Selge in fraglichen Punkten folgt, zum Beispiel: Was war die Ursache für die Taubheit, wer war die „Unsterbliche Geliebte“. Aber wer ist Alex Leverkuhn, der im 13. Kapitel die Uraufführung der 9. Sinfonie besucht?

Petra Heinze: Vielleicht positioniert sich da der Romanautor: Du, lieber Biograf, musst akribisch deine Daten auswerten, während ich durch die Jahrhunderte mäandern und fiktive Personen wie den bösen Beethoven-Fan Alex aus „A Clockwork Orange“ einmendeln kann… Mein Lieblingskapitel ist das von Beethovens Urahnin, die als Hexe verbrannt wurde und nun blind durch das Buch geistert. Was für eine wunderbare Hörschule: „aber der Gehilf pflegt beim Schreiben mitzumurmeln, so dass das Murmeln der Quetschstimme und das Kritzeln des Bleistifts zu einem untrennbaren unschönen Mischkratzklang sich verbinden“ . Aber was wollen uns die fünf Seiten sagen, auf denen jeweils nur ein profaner Satz steht wie „Beethoven badete“?

Ute Harbusch: Dass Biografien, die ihrem Gegenstand nah kommen wollen, womöglich wenig aussagen. Selge kommt seinem Gegenstand, und das kann doch nur Beethovens Musik sein, erstaunlich, ja berührend nah. Mein Lieblingskapitel ist das über eine namenlose italienische Contessa, die in Wien einer öffentlichen Aufführung des Streichquartetts a-Moll op. 132 beiwohnt. Wer steckt wohl hinter dieser Contessa?

Petra Heinze: Der Musikkritiker Selge alias „Konzertgänger Hundert11“? Womit wir wieder bei den Rezensenten wären. Vielleicht müssen die Kesseltöne darüber nachdenken, dass mitnichten nur Fachleute empfindsame Kritiker sind.

Ute Harbusch: Da fällt mir die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch ein. Nach ihrer Interviewtechnik befragt, sagte sie: „Man muss zuhören können und ein interessanter Mensch sein“. Damit hat sie die entscheidenden Voraussetzungen für Musikkritik benannt.


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