Foto: Staatsoper Stuttgart
„1:1 Concerts“ haben sich als Folge der Corona-Pandemie über die ganze Stadt und inzwischen auch über das ganze Land verbreitet. Aber man braucht etwas Mut, um sie zu besuchen. Ute Harbusch hat sich zu einem solchen Konzert des Staatsorchesters ins Mercedes-Benz Museum gewagt.
Mehr als eintausend „1:1-Concerts“ haben Stuttgarter Profimusikerinnen und -musiker seit Anfang Mai schon in hiesigen Ausstellungshäusern und Tanzstudios, am Wasser- und am Flughafen und an so idyllischen Orten wie dem Weinberghäuschen der IHK durchgeführt. Das ist, rein mengenmäßig, ein halber Beethoven-Saal. Organisatorisch dürfte der Aufwand, den die Staatsoper zusammen mit dem SWR Symphonieorchester federführend schultert, aber unverhältnismäßig größer sein als der für ein halbes Sinfoniekonzert herkömmlicher Prägung. Um es gleich vorweg zu sagen: Der Aufwand lohnt auf jeden Fall.
Die Anmeldung über die Homepage ist übersichtlich und funktioniert kinderleicht, statt Eintrittskarte gibt es eine E-Mail mit Informationen zur Anfahrt, nicht aber zu Besetzung oder Programm. Anstelle einer Gage erbitten die Künstler eine Spende für den Nothilfefonds der Deutschen Orchesterstiftung. Vor Ort wird man von freundlichen Guides betreut und geführt. Trotzdem ist ein solches Eins-zu-eins-Konzert kein niedrigschwelliges Angebot. Die Hürde, die es zu überwinden gilt, liegt im Inneren. Statt ein beliebiger unter zahllosen Konzertbesuchern zu sein, wird man Teil einer Performance, vom anonymen Zuhören zum individuellen Mitmachen gezwungen.
In Anlehnung an eine Idee der Performance-Künstlerin Marina Abramovic tritt vor die Musik der Blickkontakt. Eine Minute lang sitzen Musikerin und Besucherin einander gegenüber und sehen sich in die Augen. Dann erst beginnt die Musik. Welche Musik, entscheide die Künstlerin ad hoc, hatte der Guide zuvor erklärt.
Doris Erdmann, Cellistin des Staatsorchesters, hat für mich die Allemande und die Courante aus der G-Dur-Suite von Bach ausgesucht. Sie spielt auswendig, jetzt mit geschlossenen Augen. Mein Sitznachbar ist der Benz Patent-Motorwagen von 1886, denn unser Konzertsaal ist die oberste Ebene des Mercedes-Benz Museums. Wir schweben gemeinsam auf einem Lichtkreis, umgeben von märchenhaft beleuchteten Zaubergefährten, die an Hans Christian Andersens fliegende Koffer im Tivoli erinnern. Am besten höre ich die Musik, als ich auch die Augen schließe. Sie tanzt und fließt, die mal betonten, mal verschleierten Taktschwerpunkte geben und nehmen mir den Halt. Als es vorbei ist, schreibt die Musikerin mir ihren Namen, den Komponistennamen und die Stücktitel auf ein Blatt. Wir verabschieden uns schweigend, miteinander sprechen sollen wir nicht, so lautet die Regel.
Nie hat die Musik eines Konzerts mich mehr gemeint als in diesen zehn viel zu kurzen Minuten.
Anmelden kann man sich online unter staatsoper-stuttgart.de/1to1
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