Das Bremer Konzerthaus „Die Glocke“, Foto: Wikimedia Commons, Artstory 2014
3G versus 2G im Konzert – Jürgen Hartmann macht sich Gedanken darüber, ob das so ein großer Unterschied ist.
Wer hätte gedacht, dass man unter 3G einmal etwas anderes verstehen würde als einen Mobilfunkstandard. Und wer hätte gedacht, dass 2G irgendwie mehr bedeuten kann als 3G? Nun, manche Zeitläufte stellen eben auch unsere Auffassung von Fortschritt auf den Kopf.
Bremen, am Vormittag des 26. September – das erste reguläre Sinfoniekonzert der Bremer Philharmoniker in der Glocke, einem Konzertsaal, den selbst Herbert von Karajan gepriesen haben soll. Das Konzert läuft als 3G-Veranstaltung, etwa ein Drittel der 1.400 Plätze wurden verkauft. Jene, die nicht belegt werden dürfen, haben einen schmalen, weißen Stoffstreifen übergelegt bekommen, eigentlich ganz schick. Das Orchester spielt hervorragend, Emmanuel Tjeknavorian geigt Sibelius wie ein junger Gott, der Intendant hält eine gerührte Ansprache und Dirigent Marko Letonja kündigt Beethovens optimistische Sinfonie – die Vierte – an. Es gibt keine Pause, Getränke werden nicht angeboten und das Programmheft darf man nur draußen vor der Tür erwerben.
Nordenham, am Abend des 30. September – die erste reguläre Veranstaltung der örtlichen Goethe-Gesellschaft, im Gymnasium. Das läuft unter 2G: Es sind zwar nicht alle der rund einhundert Plätze belegt, aber man darf sich setzen, wohin man will. Das Schubert-Kammerensemble, in dem zwei Geigerinnen der Oper Stuttgart mitwirken, spielt hervorragend, der 2. Vorsitzende der Goethe-Gesellschaft hält eine freudige Ansprache und der Applaus ist groß. Es gibt eine Pause, das Publikum wird zu Sekt und/oder Orangensaft eingeladen und den Programmzettel gibt es direkt aus der Hand der jungen Kassiererin.
3G versus 2G in Konzerten mit klassischer Musik – ist das so ein großer Unterschied? Geht es nicht vor allem um die Musik, um das „überhaupt mal wieder“ oder „endlich“? Ist es so wichtig, ob man sich erst am Platz demaskieren muss oder gar keinen Mund-Nasenschutz braucht, sofern man Genesung oder Impfung nachweisen kann? Macht es so viel aus, ob es eine Pause gibt, ob man sich zwischen Solokonzert und Sinfonie austauschen kann, auch mit Menschen, die nicht direkt neben einem sitzen?
Ja, es macht sehr viel aus. Wer hätte gedacht, dass man im Bremer 3G-Konzert das Hüsteln, Flüstern und Rascheln der benachbarten Zuschauerinnen vermisst? So beglückend es ist, überhaupt wieder Konzertluft zu schnuppern in jenen Sälen, deren Türen so lange verschlossen waren: Zum Konzert gehören Sitznachbarn, die manchmal nerven, und es gehört eine Pause dazu, in der man tun und lassen kann, was man will – gerne mit vernünftigem Abstand. Weil zum Konzert eben auch Unterhaltung gehört. Und weil es nicht schön ist, wenn ein erstklassiger Geiger sich eine Zugabe aussuchen muss, die gerade mal dreißig Sekunden dauert, nur weil es keine Pause gibt. Wer richtige, gleichsam vollständige Konzerte erleben will, sollte sich also impfen lassen – ist das eigentlich schon mal gesagt worden? Wer hätte das gedacht!
Schreiben Sie einen Kommentar