Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Wie war’s bei der Performance „Show down“ in der Rampe?

Foto: Alex Wunsch

Die Freie Stuttgarter Tanztheatergruppe backsteinhaus produktion um die Choreografin Nicki Liszta hat im Theater Rampe mit der Performance „Show down“ das Thema Evolution gegen den Strich gebürstet. Ute Harbusch und Petra Heinze waren dort und haben sich hinterher ausgetauscht.

Petra Heinze: Liebe Ute, zunächst denkt man bei „Show down“ an Westernfilme mit finalem Machtkampf, aber ursprünglich ging es dabei um das Aufdecken der Karten beim Pokerspiel. Hier wird der Begriff in zwei Worten geschrieben. Ich arme Deutsche denke da auch an „Show runter“ im Sinne von „Hör auf zu spielen“. Was passt aus deiner Sicht?

 Ute Harbusch: Es geht sowohl um die „Show“, also um die alte Frage, was Theater kann, als auch um eine andere, nicht minder alte Frage: Ist Zivilisation Degeneration? Wer hat es besser: Mensch oder Affe? Die Performance versucht, die Grenze zwischen Affe und Mensch zu überwinden und auf noch viel faszinierendere Weise die zwischen Spiel und Wirklichkeit.

 Petra Heinze: Was ist auf der Bühne zu sehen? 

Ute Harbusch: Rechts am Rand ein bekleideter Musiker (Heiko Giering) mit E-Gitarre und Mischpult. Den weitgehend leeren Bühnenraum bespielt eine bis auf Knieschoner unbekleidete Tänzerin (Andreia Rodrigues). Sie benutzt einen vielleicht zwei mal drei Meter großen, mit Stoff bespannten Metallrahmen, der als Fläche für Videos, als Turngerät, Käfig, Last, Versteck, Uterus dient, mehrere beschriebene Schilder und ein Mikro. Mittels Filmprojektion werden dem Bühnenraum, in dem die beiden Performer:innen offenbar eingesperrt sind, Zoobilder gegenübergestellt, auf denen mal Affen, mal Menschen ebenfalls eingesperrt sind. Nach dem Schlussapplaus baut der Musiker den Bühnenraum zu einer begehbaren Ausstellung mit mehreren Monitoren um. Die Tänzerin sitzt, weiterhin unbekleidet und gesprächsbereit, auf dem Mischpult wie auf einem Sockel, an dem ein Schild mit ihrem Namen und Alter befestigt ist.

 Petra Heinze: Mir scheint, wir sind Zeugen einer Versuchsanordnung: Kann ich zu einem ursprünglicheren Zustand zurückkehren? Die Tänzerin hat ziemlich am Anfang zusammen mit dem Musiker einen perfekten Show-Auftritt als Popsängerin. Nach und nach wird es musikalisch immer stiller und zum Schluss mutiert auch der Musiker zum Affen. Eine große Zivilisationsmüdigkeit und Sehnsucht nach Rückkehr zur Einfachheit teilen sich mir fast körperlich mit. Aber die Zivilisation lässt sich nicht zurückdrehen: Zum Schluss werden die Performer:innen Ausstellungsstücke. Wie interpretierst du denn das Skype-Video-Gespräch der Performerin mit einer Familie „from the woods“, wie im Programmheft behauptet wird?

Ute Harbusch: Das war lustig, wie das Publikum musste ich ein paarmal kichern. Mutter, Vater, zwei Kleinkinder, alle im Naturzustand, leben offenbar in einer Art Reservat und geben ihrer Freundin, der Performerin, Tipps für das schwierige Leben auf der Bühne: „Take the best out of both worlds. Actually you cannot lose.“ Der Humor bringt Spiel und Wirklichkeit, Zivilisation und Naturzustand in eins. Aber der Tod ist auch in Arkadien: Mangels Medikamenten sind der Familie schon zwei Kinder gestorben.

 Petra Heinze: Wie hast du die Nacktheit der Akteur:innen empfunden? Und wirkt sie sich auf deine Wahrnehmung des Tanzes aus?

Ute Harbusch: Die nackte Frau hat mich berührt in ihrer Unverstelltheit und ich habe den Anblick des bildschönen Frauenkörpers genossen. Der Tanz wirkte, wie soll ich es sagen, echter auf mich. Sie ist kein Affe, sie ist keine Eingeborene, aber sie ist, bei aller Kunst, mehr Mensch als Tänzerin. Wie ging es dir?

Petra Heinze: Ich empfinde nackte Menschen meist als sehr verletzlich und Nacktsein als sehr intim. Die Protagonistin läuft in einem Video auch nackt durch die Straßen Stuttgarts und wird schließlich von zwei Unholden in einem Lieferwagen entführt. Anders als bei einem Kostüm lenkt hier nichts von der Bewegung ab und das Pendeln zwischen genau einstudierten äffischen Lauten und Gesten und menschlichem Tanz ist sehr beeindruckend. Ich will mehr davon!

Weitere Vorstellungen am 2., 5., 6. und 7. Oktober. Mehr Infos unter www.theaterrampe.de




Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Busoni, der unerhörte Europäer
    Wegen des Männerchors ins Konzert, enttäuscht wegen dessen allzu kurzen Auftritts – aber unverhofft überwältigt und begeistert von Ferruccio Busonis Klavierkonzert. So erging es unserem Rezensenten Holger Schneider im Konzert des SWR-Symphonieorchesters.
  • Das Frühlingsrätsel: Wer schrieb das?
    „Del hielo libera a corrientes y arroyos la preciosa y vivificante mirada de la primavera. En la laguna se enverdece la suerte de la esperanza.
  • Wie war’s bei figure humaine in der Liederhalle?
    Der Kammerchor figure humaine feiert mit seinem Frühlingskonzert das Fauré-Jahr. Dirigent Denis Rouger hat ein französisch-deutsches Programm zusammengestellt, Ute Harbusch hat zugehört und berichtet Petra Heinze davon.
  • Das Publikum aus der Komfortzone holen
    Eine ungewöhnliche Mischung aus Originalwerken, Bearbeitungen und Improvisationen steuert die Dommusik St. Eberhard zur Bachwoche Stuttgart bei, geleitet von Domkapellmeisterin Lydia Schimmer. Jürgen Hartmann sprach mit ihr.
  • Klangräumlich kakophonisch komplettüberfordert
    Die „Hörspielnacht unterwegs“ sollte laut der Staatsoper Stuttgart das Warten auf die Uraufführung von „Dora“ versüßen – einer Oper von Bernhard Lang auf Texte von Frank Witzel. Solche gab es als Hörspiel im Bus – Holger Schneider hat sich hineingequetscht.