Konzerte umsonst und draußen verband man bisher eher mit Popmusik. Nun trotzte das Podium Esslingen Corona mit einem Konzertwochenende im Merkelschen Park. Ute Harbusch und Petra Heinze besuchten zwei Konzerte am Samstag.
Petra Heinze: Im Konzertsaal ist ja wieder einiges möglich. Nur das Gemeinschaftsgefühl, das Konzert-Junkies wie mich in den Saal treibt, bleibt bei ausgedünntem Publikum ein wenig auf der Strecke. Wie ging es Dir damit im Merkelschen Park, liebe Ute?
Ute Harbusch: Ganz anders, viel besser. Knapp hundert Zuhörer saßen mit dem erforderlichen Abstand auf Stühlen oder lagerten auf Picknickdecken auf der grünen Wiese, unter hohen Bäumen. Fast symbolisch wurden wir durch ein weißrotes Absperrband zusammengehalten. Aber viel mehr zusammengehalten hat uns das Hören auf die Musik, die Konzentration auf die exzellente Darbietung durch die Musiker. Obwohl es wirklich Ablenkung und Zerstreuung genug gab: Passanten, Radfahrer, vorbeifahrende Züge, Wind, Lachen, Entenrufe. Trotzdem waren wir ein kompaktes, konzentriertes, durchs Zuhören zusammengeschweißtes Publikum. Als es dunkel wurde, hat sich dieser Eindruck noch verstärkt. Wir waren viel mehr eins als jedes Coronapublikum, das ich in den letzten Wochen in einem Konzertsaal erlebt habe.
Petra Heinze: Die Podium-Macher versprachen ein innovatives tontechnisches System mit einem Lautsprecherkreis, der die akustischen Instrumente wie im Konzertsaal klingen lassen und ein immersives Konzerterlebnis ermöglichen sollte. Und, konntest Du eintauchen in die Musik?
Ute Harbusch: Tatsächlich inmitten der Musik befand ich mich bei Ian Andersons instrumentaler Bearbeitung von Bartóks „Herzog Blaubart“, eine fesselnde, atmosphärisch dichte, kompakte Kammerversion. Die verstärkten Instrumente erklangen aus allen Lautsprechern rundum, im Surround-Klang. Also grade nicht so wie üblicherweise im Konzertsaal. Bei den anderen Stücken, sei es Berios „Sequenza IX“ für Soloklarinette oder Anton Arenskys aufregendes, spätromantisches Streichquartett Nr. 2, kam der Klang von vorne, wurde aber verstärkt. Das tat zum Beispiel der Klarinette gut, beim Streichquartett habe ich mit der elektroakustischen Verfremdung, nun ja, gefremdelt.
Petra Heinze: Du hast jetzt die ungewöhnliche Stückauswahl der beiden Konzerte nebenbei miterzählt. Wie gefiel Dir die? Oder auch das Eröffnungswerk: Mozarts Flötenquartett, erweitert um Minimal Music- und Jazzelemente.
Ute Harbusch: Mozarts zweiter Satz blieb wahrhaftig unvollendet auf der Dominante in der Luft hängen und wurde fortgesponnen durch eine Improvisation von Martin Posegga am Saxofon. Stark! Die Vielfalt der Besetzungen, der musikalischen Idiome war für mich ein wahrer Ohrenschmaus. Bei einer Weinprobe erfahre ich auch mehr über Wein als mit einer einzigen Flasche. Am meisten begeistert hat mich aber das Konzert der Umweltklänge, in dem die Musik nur eine von vielen Stimmen war, die sich aber mühelos behaupten konnte. Wir hörten ein berührendes Duett von Klarinette und Flugzeugmotor, ein perfekt abgestimmtes Diminuendo der Violine und des sich entfernenden Zuges. Ich meine das nicht ironisch. Corona hat die Klassik aus dem Konzertsaal in die Freiheit vertrieben. So dass es völlig korrekt war, das erste Konzert unter genau dieses Motto zu stellen: „Freiheit“.
Petra Heinze: Willst Du mehr davon, auch nach Corona?
Ute Harbusch: Unbedingt. Grundsätzlich ist das halt leider eine Frage der Witterung. Die Wolldecken, die die Veranstalter netterweise bereithielten, reichen bei Schnee nicht aus. Finger, Lippen und Instrumente der Musiker brauchen eine Mindestbetriebstemperatur und bei Regen ein Dach. Aber mehr „Freiheit“ wird den Konzertbetrieb auf jeden Fall bereichern.
Das verschobene Podium Festival Esslingen 2020 findet nun vom 6. bis 15. Oktober an verschiedenen Orten in Esslingen statt. Infos unter https://www.podium-esslingen.de/
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