Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Die Programmfolge vom Publikum bestimmen lassen

Foto: SWR

Yuval Weinberg heißt der neue Chefdirigent des SWR Vokalensembles. Der 30-Jährige wurde in Tel Aviv geboren und tritt nach Studium und Dirigaten dort, in Berlin und in Oslo im September sein neues Amt in Stuttgart an. Jürgen Hartmann hat mit ihm gesprochen.

Jürgen Hartmann: Herr Weinberg, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Berufung und eine ganz grundsätzliche Frage zu Beginn: Was fasziniert Sie an der menschlichen Stimme?

Yuval Weinberg: Dass jeder eine hat! Die Stimme ist mit das erste, was man wahrnimmt, wenn man auf die Welt kommt. Sie hat unendliche Möglichkeiten und man wird nie fertig damit.

Jürgen Hartmann: Wie sehen Sie die Position des SWR Vokalensembles speziell in der Chorstadt Stuttgart?

Yuval Weinberg: Wenn ich selbst einen guten Chor höre, bekomme ich Lust, etwas zu machen, zu singen oder zu tanzen. Das SWR Vokalensemble kann in der Chorstadt Stuttgart Beispiel und Inspiration sein, anderen Chören, die keine fest angestellten Mitglieder haben, Mut machen.

Jürgen Hartmann: Welche Traditionen wollen Sie fortsetzen, welche neuen Akzente setzen?

Yuval Weinberg: Ich will auf jeden Fall die außerordentliche Klangqualität, Intonation, Homogenität des Ensembles erhalten. Dies haben die Sängerinnen und Sänger mit Marcus Creed extrem gut aufgebaut. Auch die Individualität der Mitglieder spielt eine wichtige Rolle. Ich stelle mir vor, dass diese Individualität und die Homogenität als Chor gleichermaßen wichtig werden. Es sind sozusagen viele Gesichter, die ein Ganzes prägen. Ins Repertoire möchte ich Werke einbringen, die in der letzten Zeit weniger präsent waren, zum Beispiel weniger Bekanntes aus den nordischen Ländern.

Jürgen Hartmann: Können Sie sich bisher unbekannte Konzertformate vorstellen?

Yuval Weinberg: Ja, das interessiert und beschäftigt mich sehr! Zu Hause auf dem Schreibtisch sind schon zwanzig Optionen gestapelt. Wir wollen versuchen, noch mehr mit dem Publikum in Berührung zu kommen. Das kann in kleineren Räumen stattfinden, geht aber auch im normalen Konzertsaal. Wir treten im März im Fernsehturm auf und wir haben auch schon die Programmfolge vom Publikum bestimmen lassen. Gerade bei Neuer Musik trägt so etwas dazu bei, dass das Publikum Teil des künstlerischen Prozesses und nicht nur Beobachter ist. Ich denke, mit dem künstlerischen und auch finanziellen Hintergrund, den wir haben, können wir in dieser Hinsicht Zeichen setzen.

Jürgen Hartmann: Hat Sie ihre Arbeit in Nordeuropa geprägt, wo Chorgesang einen hohen Rang hat?

Yuval Weinberg: Ja, ich glaube schon. Es gibt sicher in Deutschland nicht weniger Chorkultur als in den nordischen Ländern, aber die Tradition dort ist neuer, und sie ist auch weniger kirchlich geprägt. Dazu kommen die sprachlichen Eigenheiten, die den Chorklang mit ausmachen. Es wird sehr transparent musiziert, strahlend, aber auch mit viel Wärme. Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich das mitgenommen habe.


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Stehenbleiben wäre unkreativ
    In „Goldbergs Traum“ verbindet das Stuttgarter Kammerorchester Bachs Goldberg-Variationen nicht nur mit zeitgenössischen Kompositionen, sondern auch mit Künstlicher Intelligenz. Jürgen Hartmann sprach darüber mit SKO-Intendant und Initiator Markus Korselt.
  • Dampf im Kessel lieber leise ablassen
    Gleich ein gutes Dutzend großer Dirigenten mit fragwürdigem Benehmen kommt Holger Schneider in den Sinn. Dennoch lautet seine Empfehlung, mit einer öffentlichen Beurteilung oder gar Verurteilung lieber an sich zu halten.
  • Die durchschnittliche Freude am Schlechten
    Ute Harbusch wird philosophisch: In Diderots fiktivem Dialog über Rameaus zynischen Neffen sucht und findet sie Bemerkenswertes – und trifft den Autor zufällig auf dem Zeltplatz…
  • Das Gewissen ist schuld!
    Ausgangspunkt dieser Sommerserie waren Zeitungsberichte über moralische Verfehlungen von Künstler:innen. Während Jürgen Hartmann den Hass für einen wichtigen Bestandteil von Kunst hält, glaubt Petra Heinze, dass die Kunst den Hass verwandeln kann.
  • Hass plus Liebe gleich Kunst?
    Bösewichte haben keine Lieder? Heute wird scharf diskutiert über Böses und Bösewichte in der Kunst. Damit beschäftigt sich unsere Sommerserie. Als erster geht Jürgen Hartmann an den Start und denkt an seine Theaterzeit zurück.