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La Fura dels Baus in Ludwigsburg mit Klassik für alle?

Foto: Julien Benhamou

Anfang der 1990er Jahre konnte man die katalanische Theatertruppe La Fura dels Baus beim Esslinger Kultursommer erleben. In bester Artaud-Manier versetzte sie damals das Publikum in Angst und Schrecken, als Performer mit motorisierten Go Karts in die Zuschauermenge fuhren. Um die Jahrtausendwende wurde das Kollektiv von Gerard Mortier für die Inszenierung von Opern entdeckt. Nun zeigte es bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen seine Lesart von Joseph Haydns geistlichem Oratorium „Die Schöpfung“. Jürgen Hartmann und Petra Heinze waren dort.

Petra Heinze: Lieber Jürgen, was hast Du zuerst gedacht, als Du die Szene erblicktest?

Jürgen Hartmann: Eigentlich verweigere ich mich bewusst dem allerersten Eindruck, um keine Voreingenommenheit zu kreieren. Ich habe also keinen ersten Gedanken gehabt. Versucht habe ich, Musik und Bild zusammenzubringen und musste an einen Bildschirmschoner denken.

Petra Heinze: Ich war zuerst erschrocken, wie dekorativ die Bühne aussah: Überdimensionierte Luftballons, schwarzweiße Projektionen mit organischen und abstrakten Formen über Mensch und Bühne gleichermaßen, dazu trugen die Erzengel märchenhafte und mit LED-Lämpchen blinkende Kostüme. Dann kam jedoch der Chor an die Rampe in Gewändern aus verschiedenen Kulturkreisen und aus der Altkleidersammlung, stellte also eine Gruppe von Flüchtlingen dar.

Jürgen Hartmann: Die Flüchtlinge fand ich viel weniger brisant als erwartet. Dass der Chor bereits den Urknall bestaunte, war eigentlich ein Regiefehler, wenn man der Produktion mit einem logischen Zugriff beikommen will. Insofern war das Flüchtlingsthema für mich nicht zentral, nicht genügend ausgearbeitet und somit auch eher dekorativ. Ein Beispiel: Der während der Arie „Rollend in schäumenden Wellen“ im Wasserbassin schwimmende junge Mann, dem der Sänger etwas halbherzig seine Hand anbot, krabbelte am Ende der Arie ganz eigenständig aus dem Wasser, um dann vom Chor aufwendig mit Trinkwasser versorgt zu werden. Das sind einzelne, durchaus intensive Bilder, aber sie fügen sich nicht zu einem Ganzen. Das Thema der Dekoration führt uns allerdings zu der Frage, inwieweit man ein ursprünglich für den Konzertgebrauch geschriebenes Werk überhaupt bebildern kann und soll.

Petra Heinze: Ich denke, ein logischer Zugriff war gar nicht beabsichtigt. Vielmehr hat der Regisseur Carlus Padrissa versucht, dem frommen und naiven Libretto, das uns heute sehr fern ist, eine Art Kommentar beizugeben: Es ist eben nicht alles gut auf der Welt. Der Sündenfall wird von Haydn und seinem Librettisten van Swieten ausgeklammert und von Padrissa gegen Text und Musik integriert. Aber warum sollte man aus Deiner Sicht ein Oratorium nicht bebildern?

Jürgen Hartmann: Dann wenigstens den echten Sündenfall mit Apfel und Schlange. Nein, im Ernst, Logik ist ja auf der Bühne ohnehin nicht der beste Maßstab und insofern soll sich ein Regisseur viele Freiheiten nehmen. Und da hätte sich Padrissa eigentlich sogar noch größere nehmen können. Dass er halb dekorativ, halb kommentierend arbeitet, ergibt sich genau aus dem Problem, ein Oratorium zu inszenieren. Entweder man zeigt das, was erzählt wird, dann ist es jedoch langweilig, wie ich vor vielen Jahren an einer Johannes-Passion erleben konnte, oder man erfindet eine ganz eigene künstlerisch gestaltete Welt hinzu, wie Achim Freyer in seiner Inszenierung des „Messias“. In der „Schöpfung“ wurde die Naivität von Haydn und seinem Librettisten van Swieten streckenweise um den Preis völliger Überforderung des Publikums kommentiert: Da purzelten Worte vom Himmel, da wurden etwas naive Sinnsprüche über Gegenwart und Zukunft eingeblendet. Ein Oratorium ist aber keine dramatische Musik, es ist für eine szenische Interpretation nicht wirklich offen, es hat keine Ansatzpunkte für eine Darstellung auf der Bühne. Eine Oper enthält solche zwangsläufig, weil sich Komponist und Librettist ja darüber schon Gedanken gemacht haben. Daher war mir diese „Schöpfung“ zu dicht, zu strapaziert, bis zum visuellen Overkill. Hast Du in diesen Momenten überhaupt noch die Musik wahrgenommen?

Petra Heinze:
Ich komme ja nicht wie Du von der Musik, sondern vom Theater her und habe die Musik nur als einen von vielen Teilen eines Gesamtkunstwerks wahrgenommen. Einen visuellen Overkill empfand ich nicht, eher fühlte ich mich in die Rolle des staunenden Himmelsbürgers versetzt ob der Bilderflut. Damit war es für mich sehr wohl eine adäquate Umsetzung von Musik und Text. Auch hilft der visuelle Eindruck sicher vielen Menschen, die Deine besondere musikalische Vorbildung und Hör-Erfahrung nicht haben, dem Geschehen zu folgen und es zu verstehen. Klassik für alle! Wenn ich es richtig gesehen habe, war auch kein typisches Konzertpublikum im Saal.

Jürgen Hartmann:
Das ist gut möglich, und die Zuschauer waren ja am Ende auch begeistert. Es gab in der Tat sehr eindrucksvolle Bilder wie die beiden etwas faschistoiden Statuen zu Beginn des dritten Teils. Solche Bildfindungen fand ich übrigens sehr viel überzeugender als die teils ergänzenden, teils kommentierenden, teils widersprüchlichen projizierten Texte und die vielen Variationen des Bildschirmschoners. Bleibenden Eindruck hat bei mir ebenso hinterlassen, wie die Sänger,  insbesondere als Adam und Eva, sich unerschrocken und sportlich auf die Herausforderungen eingelassen haben. Insofern war das alles schon auf der Höhe der Zeit. Aber besteht nicht die Gefahr, dass ein breites Publikum das alles für selbstverständlich nimmt und sich auf Musik pur irgendwann nicht mehr einlassen kann?

Petra Heinze: Also gibst Du immerhin zu, dass der dritte Teil, der im Konzert oft recht zäh ist, durch die visuelle Ebene gewonnen hat. Ob das breite Publikum durch die Szene verbildet wird? Vielleicht kann es sich auch mehr und mehr einhören und landet schließlich in Konzerten ohne szenische Unterstützung, beispielsweise um die „Schöpfung“ erneut zu hören. Was sagst Du denn zur musikalischen Ausführung?

Jürgen Hartmann: Die war ebenfalls auf der Höhe der Zeit. Bis auf einige Intonationsschwankungen und ein bisschen Klappern am Anfang alles erstklassig. Man muss ja bedenken, dass diese Aufführung eine Tourneeproduktion ist, was für alle Beteiligten anstrengend ist. Ein musikalisch sehr historisierender Haydn, bei der Dirigentin Laurence Equilbey in besten Händen. Alle drei Solisten waren sehr gut, wobei die Sopranistin Sunhae Im und der Bass Daniel Schmutzhardt mir fast ein wenig zu neutral gesungen haben, während der Tenor Martin Mitterrutzner auffallend gestaltungsfreudig war. Ich fände jedoch eine „Schöpfung“ mit fünf Solisten besser, um Adam und Eva als eigenständige Rollen zu kennzeichnen, zumal in szenischer Aufführung. Beim Bassisten macht man in einer Dreierbesetzung zwangsläufig Kompromisse: Adam ist viel höher als Raphael, und da Daniel Schmutzhard eher ein lyrischer Bariton ist, klang Adam bei ihm eben angemessener und beim Raphael musste er ein bisschen tricksen.

Petra Heinze: Du würdest also empfehlen, mehr Geld in Solisten zu investieren und weniger Material zu schlachten?

Jürgen Hartmann: Nein, dann empfehle ich lieber den Zuschauern, sich „Die Schöpfung“ mal in einem ganz schlichten Konzert anzuhören und die Bilder im eigenen Kopf mit denen von La Fura dels Baus zu vergleichen.


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