Kultur im August? Zwischen Oper am See (Hochkultur) und Abkühlung im Wasser (Badekultur) gibt es überraschende Optionen (Foto: Mineralbad Cannstatt, Jürgen Hartmann).
Wo muss, wo kann man im August hin? Susanne Benda meint: Man könnte auch darüber nachdenken, was alles Kultur ist.
Sommerliche Hochkultur – Festspiel in Bayreuth und Bregenz
Gerade sitze ich im Bayreuther Festspielhaus den neuen „Ring des Nibelungen“ ab. Knapp 16 Stunden, vom Regisseur Valentin Schwarz in der Art einer Netflix-Serie erzählt – mit klassischen Cliffhangern, vielen Brüchen, tollen Ideen, aber auch Leerlauf, halt so wie in mittelmäßigen TV-Serien, aber auch wie in Wagners Vierteiler selbst. Und wie im wirklichen Leben. Es gibt überraschenderweise noch Restkarten für die eine oder andere Vorstellung auf dem Grünen Hügel – man muss sich nur in eine Online-Warteschlange einreihen und ein bisschen Glück haben. Auch in Bayreuth ändern sich die Zeiten. Nur der Sitznachbar bleibt im unklimatisierten Gebäude weiterhin ein Schwitznachbar.
Aber davon wollte ich eigentlich gar nicht schreiben. Auch nicht von Andreas Homokis wirkungsvoller Inszenierung von Puccinis „Madame Butterfly“ auf der Bregenzer Seebühne. Beim nahen Hingucken ist die Szene extrem konventionell, aber genau guckt in Bregenz ja keiner hin, 7000 Besucher sehen vor allem eine wirkungsvolle Totale mit Seepanorama und davor einem gigantischen Stück Papier, das hier die Spielfläche ist. Auch in Bregenz gibt es noch Restkarten. Für alle, die auch im Ferienmonat August noch etwas unternehmen wollen, das irgendwie nach Kultur riecht.
Auch das ist Sommerkultur: Baden, Lesen, Essen, Schlafen
Ist Unterhaltung eigentlich auch Kultur? Die Frage kam mir gerade angesichts der Musicalisierung der Oper in Bregenz. Was mich betrifft: Im Sommer liebe ich die Badekultur. Dass die Bäder in Stuttgart nicht mehr mit Gas zuheizen, um Putin eins auszuwischen, ist angesichts der zurzeit herrschenden Temperaturen ja sowas von egal. Hitze ist gut gegen Imperialisten, und Schwimmen stärkt die Brust-, Rücken- und Armmuskulakultur. Oder so ähnlich.
Es gibt auch: Lesekultur – der kann man im Sommer am Strand frönen oder auch (mein bevorzugter Leseort) nächtens auf Balkonien, erst lange im Hellen, dann im Schein einer kleinen Lampe. Außerdem gibt es Wohnkultur. Man könnte jetzt, wo ferienbedingt sogar der Ikea leer ist, seine Wohnung zum Beispiel um das Sofa Snöckläga oder den Spiegelschrank Egodröma bereichern. Das wäre dann sehr wohnkulturell. Die Spielkultur bei der Fußball-EM der Frauen war klasse, ist aber leider schon vorbei, und wer Zweiter wird, hat immer die A…karte. Esskultur ist dafür immer erstklassig – es sei denn, man erlebt sie nur als olfaktorisch gepeinigter Nachbar eines Liebhabers der Grillkultur. In diesem Fall wären eine gute Trinkkultur und anschließend eine gute Schlafkultur zu empfehlen.
Das Sommerloch füllen – Hörkultur statt Sonstwas-Kultur
Bei längerem Nachdenken kann man sich vor Kultur kaum retten. Sogar die Kulturseiten der Zeitungen werden immer voller mit Sonstwas-Kultur. Und man fragt sich, warum die Kulturveranstalter immer noch über den Post-Corona-Blues und gesunkene Zuschauerzahlen klagen. Hat das Jammern womöglich nicht nur in Schwaben Kultur?
Im Übrigen ist angesichts geschlossener Konzertsäle und Opernhäuser im August Hörkultur auch nichts Schlechtes: Zum Beispiel könnte man Wagners „Ring“, anstatt ihn schwitzend abzusitzen, auch einfach unter Kopfhörern genießen. Die Aufnahme von Pierre Boulez ist immer noch gut, die von Georg Solti auch. Und Siegfrieds Ausruf beim Anblick der schlafenden Brünnhilde kann man auch als reines Audio richtig genießen: „Das ist kein Mann!“, ruft der Held, und wenn er gut ist, tut er dies mit einer gehörigen Portion an Gesangskultur. Ein gerüttelt Maß an Applauskultur ist dem tenoralen Recken sicher.
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