Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Am Rande von Corona (2): Händel heilt

Davids Harfe im Konzert, Foto: Holger Schneider

Kurz vor dem zweiten Shutdown absolviert Holger Schneider noch eine ungemein trostreiche Kur.

Händels Saul ist ein echtes C-Dur-Oratorium. So war denn auch der C-Dur-Schluss im Beethovensaal vor einigen Tagen das vorerst letzte Live-Dur der Bachakademie in diesen unwirklichen Zeiten. An die 2.000 Menschen haben die vier Aufführungen erlebt und haben mitgefiebert und -gelitten und -gejubelt im dramatischen Geschehen um König Saul und all die andern. Welch tragischen Ausgang die Geschichte nimmt, ist bekannt. Doch Händels liebevoller Blick auf die menschlichen Charaktere im biblischen Zwist zaubert unzählige trostreiche Momente ins Geschehen. Selbst der Trauermarsch steht in C-Dur! Händel heilt, wirksamer als David es mit seiner Harfe vermochte. „Denn daß die Music die im menschlichen Leibe reg gemachte Kranckheiten vertreiben/ und folgentlich das Gemüth ruhiger machen könne/ ist gewiß. Besiehe nur die von den Tarantuln gebissene/ aber durch die Music wieder curirte.“ (Paullini, Lust-Stunden, 1706)

Händel heilt. Zumeist genügt schon eine kleine Dosis von seinem Dur. Freilich darf’s auch gern etwas mehr sein: Überflüssiges Dur scheidet der menschliche Körper einfach aus. Derweilen eine medizinisch hochwirksame Alliteration auf C sich allerdings als kaum hinreichend getestetes Serum erweist (zumal ein gewisses C-Wort dabei tunlichst mal nicht vorkommen möge), nehmen wir kurzerhand eine probate Mixtur aus D, wie es uns ja in unserem Messiah und vielen anderen Händel-Musiken viel-zig-fach begegnet. Hier ein Auszug aus der Packungsbeilage der barocken Essenz:

Händel-Tautogramm in D – – – Derlei Dur, deutlich dominierend, dient der demonstrativ detailfreudigen Darstellung dynamisch draller Dankesbezeugung: Da definitiv dezent, Dero Durchlauchtigster Dignität demutsvolle Devotion darbietend (dank delikatest duftigem Dolcissimo!); dann derweil doch doloroso, dunkel, düster drohend, darauf drastisch durchgeführt; dort doppelchörig donnernd, drangvoll dramatisch drauflos drängend… – Darob durchaus diesseitig, der Dreieinigkeit desgleichen devoten Dank darreichend, deistisch durchwobene Dichtung, deliziös dosiert… Dennoch durchwallt die Deklamation dräuend-druckvoll der divine Drive – Domine Deus! – – – Darum:

Hört Händel!* – Halleluja!

* Bis auf weiteres wieder im heimischen Stereo-Sound, zum Beispiel „Messiah“ mit Hans-Christoph Rademann (Accentus Music 2019) oder „Saul“ mit Helmuth Rilling (Hänssler Classic 2007).


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Balance aus Pracht und Maß
    Mit dem Kammerchor und dem Barockorchester Stuttgart hat Frieder Bernius erneut eine Messe und weitere Werke von Jan Dismas Zelenka auf CD herausgebracht. Susanne Benda ist hellauf begeistert.
  • 200 gut singende Leute als Basis
    Der Schweizer Komponist Klaus Huber wäre am 30. November 2024 einhundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass gibt es in der Bad Cannstatter „Musik am 13.“ Hubers Werk „Sonne der Gerechtigkeit“. Die Kesseltöne haben den künstlerischen Leiter Jörg-Hannes Hahn dazu befragt.
  • Das Herbsträtsel: Wer schrieb das?
    Sie waren mehr als Freunde, mehr als Vertraute, mehr als Verbündete und mehr als Liebhaber. Wenn Beziehungen ein Puzzle sind, dann war ihres von Anfang an vollständig.
  • Die Kesseltöne lesen: Die große Versuchung
    Weil zwei Konzerte abgesagt wurden, haben Ute Harbusch und Petra Heinze den jüngsten Roman des peruanischen Literaturnobelpreisträgers Mario Vargas Llosa gelesen. Wäre Live-Musik ergiebiger gewesen?
  • Stehenbleiben wäre unkreativ
    In „Goldbergs Traum“ verbindet das Stuttgarter Kammerorchester Bachs Goldberg-Variationen nicht nur mit zeitgenössischen Kompositionen, sondern auch mit Künstlicher Intelligenz. Jürgen Hartmann sprach darüber mit SKO-Intendant und Initiator Markus Korselt.