Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Die Kesseltöne lesen: Fanny Mendelssohns unerhörtes Gespür für Musik

Lesezeit: 2 Minuten

Fanny Mendelssohn, festgehalten von Wilhelm Hensel, Foto: Wiki Commons

Was für eine Form ist das? Ute Harbusch und Petra Heinze sprechen über das populäre Debütwerk der schwedischen Journalistin und Musikerin Ellinor Skagegård.

Ute Harbusch: Liebe Petra, wir hatten beide Mühe, die Biografie zu lesen, obwohl sie nicht unverständlich oder kompliziert geschrieben ist. Woran lag das?

Petra Heinze: Ist es eine Biografie? Auf dem Buchcover steht Roman. Und ich hatte den Eindruck, es ist eher ein Portrait, das aus dem Ruder gelaufen ist. An Stelle der O-Töne eines Portraits kommen immer wieder Briefzitate, dazwischen Einordnungen in Zeit und Zusammenhänge, wie eine gute Journalistin das beispielsweise in einem Magazin mit einer Person des öffentlichen Lebens tut. Narrative Kniffe oder einen plastischen Stil, der mir die beschriebene Person näherbrächte, findet man nicht und so ist man nach 50 Seiten ermattet. Was sagt die Autorin zweier wissenschaftlicher Biografien dazu?

Ute Harbusch: Tatsächlich, du hast Recht: Das Buch wird als Roman deklariert. Wie eigenartig. Wenn man sich als Journalistin oder in meinem Fall als Wissenschaftlerin einen biografischen Stoff erarbeitet hat, Quellen und Sekundärliteratur aufbereitet und sich angeeignet hat, dann wird der Abstand zur historischen Wirklichkeit, die man erfassen möchte, merkwürdigerweise nicht kleiner, sondern nur umso schmerzhafter spürbar. Die Versuchung, den Sprung in die Fiktion zu machen, kann dadurch unwiderstehlich werden – aber man braucht den Mut und natürlich auch das erzählerische Können dafür.

Petra Heinze: Im Vorwort behauptet Ellinor Skagegård literarische Freiheiten, die sie sich jedoch nicht wirklich genommen hat. Und sie möchte auf leicht zugängliche Art Fannys Geschichte erzählen. Auch wenn wir not amused sind, so waren es doch viele andere. Bereits im Erscheinungsjahr gab es drei Auflagen. Den Zugang zu diesem besonderen Frauenschicksal hat sie also wirklich geschaffen. Und ich denke, Frauen können sich auch heute noch darin spiegeln, denn eine Gleichberechtigung gibt es im Berufsleben immer noch nicht ganz. Aber hat sie auch einen Zugang zur Musik von Fanny Mendelssohn gelegt?

Ute Harbusch: Sie weckt Bewunderung für das, was diese als Pianistin, Dirigentin, Komponistin geleistet hat. Und Ärger über die gesellschaftlichen Rollenbilder und die diversen Männer, Väter, Brüder, die sie ein Leben lang in die Schranken wiesen. Zum Beispiel hätte sie die missratene dritte Aufführung der Matthäus-Passion retten können, wenn man sie nur rangelassen hätte statt des Herrn Zelter. Wir erfahren, welche Lieder, Sonaten, Chor-, Orchester- und Orgelwerke diese hochbegabte Musikerin wann komponiert hat, wobei allerdings ein Werkverzeichnis und ein Register nicht nur hilfreich, sondern auch Ausdruck von Wertschätzung gewesen wären. Wir erfahren auch, dass ihre Musik freier, fantasievoller, wilder gewesen sei als die von Felix. Aber all dies bleibt Papier, es fängt nicht an zu klingen. Hat das Buch dich dazu animiert, ihre Musik anzuhören?

Petra Heinze: Nein, auch bei mir klang da leider nichts. Was ich jedoch bemerkenswert fand, ist die Beschreibung der wohl sehr achtsamen und Fannys Kreativität unterstützenden Beziehung des Bildenden Künstlers Wilhelm Hensel zu seiner Frau. Das würde sich heute sicher so manche wünschen.


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Demokratie heute (1): „Schule des Überlebens“ in der Rampe
    Unsere Redakteurin Petra Heinze soll im Theater Rampe lernen, wie sie mit dem Rechtsruck in Deutschland umgehen kann: Die russische Regisseurin Ada Mukhína und der englische Musiker Calum Perrin bieten dort eine „Schule des Überlebens“ an und belegen ihre Expertise mit jahrelangem Überleben in Diktaturen.
  • Traumschwiegersöhne: Die Hanke Brothers mit Eckart von Hirschhausen
    Wir glauben es sofort: „Musik macht glücklich – und rettet die Welt“ heißt eine Veranstaltung des New Classical Music Festivals mit Eckart von Hirschhausen, Pianist Christoph Reuter und den Hanke Brothers, die das Festival initiierten. Unser Autor Holger Schneider war vor Ort.
  • Wie war’s bei Lia Pale im Theaterhaus?
    Lia Pale und ihre Band krempeln unerschrocken das deutsch-österreichische Kunstlied um und machen eine Jazz-Session in Englisch. Die Hugo-Wolf-Akademie lud sie ins Theaterhaus ein. Ein gelungenes Experiment? Ute Harbusch antwortet darauf im Gespräch mit Jürgen Hartmann.
  • François-Xavier Roth tritt beim SWR Symphonieorchester an
    Er wolle keine normalen Programme dirigieren, hat der neue Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters, François-Xavier Roth, angekündigt. In seinem Antrittskonzert spürte er dem Begriff der Sinfonie nach. Normalität stellte sich tatsächlich nicht ein, findet Jürgen Hartmann.
  • Heinzes Tipps des Monats
    Manche Institutionen erweitern schlau ihr Publikum mit Veranstaltungen, die man dort nicht erwarten würde: Das Stadtpalais lädt zum Mitsingen ein, und das Kunstmuseum führt eine Kammeroper auf. Zudem setzt Heinrich Steinfest im Literaturhaus zum Seitenhieb auf den Turbokapitalismus an.