Zielgruppenorientierung ist ein Zauberwort. Aber womöglich kennt der Begriff „Publikum“ nicht ohne Grund keine Mehrzahl? Das Publikum vermehren wollen jedenfalls alle. Noch jeder neue Intendant im Klassikgeschäft hat wahlweise von „Öffnung zur Stadt“ oder „Attraktivität für junges Publikum“ gesprochen. Man darf sich fragen, ob ein Theater oder eine Konzerthalle alle naselang, pardon, alle paar Jahre immer noch weiter „zur Stadt geöffnet“ werden kann. Die Zielgruppe „Stadt“, ist eben gerade so konkret, dass man ahnt, was gemeint ist und es erst mal prima findet, aber noch hinreichend abstrakt, so dass sich der Effekt dann doch nicht messen lässt.
Mit dem Thema „junges Publikum“ ist es auch so eine Sache. Die Zuwendung von Theatern und Orchestern zu Kindern und Jugendlichen ist verdienstvoll. Zu prüfen wäre, wann sie ausgereizt ist. Und ob sie im Rückblick vielleicht zu sehr Schulen und Eltern entlastet hat von der zumindest ideellen Verpflichtung und notwendigen Anstrengung, junge Menschen auch mit der Hochkultur in Berührung zu bringen.
Beschwert man sich nicht schon seit Jahrzehnten über das „zu alte“ Publikum? Kann das denn überhaupt sein oder hat der Nachwuchs, den sich jeder Veranstalter wünscht, eben schon graue Schläfen? Ist es schlimm, wenn zwischen 20 und 40 eine Lücke klafft in der Zuschauerstatistik? Wer mit 40 zurückkommt zu den Musikmachern, die ihn in der Jugend umfassend betreut haben, sollte aufs Neue willkommen sein. Und erneute Zuwendung spüren.
Schon 2014 widmete die Zeitschrift „Das Orchester“ eine ganze Ausgabe der von den Veranstaltern „vernachlässigten Generation“, den so genannten „Mittelalten“. Wie in der Politik die allzu beflissene Identitätspolitik vor allem zum Schulterschluss Ewiggestriger geführt hat, könnte die unreflektierte Sehnsucht nach dem jungen Publikum dem Musikleben das Wasser abgraben. Und vergessen wir bei all dem auch nicht, dass nur ein in Alter und Herkunft vielfältiges und großes Konzertpublikum eine Emotion wecken kann, die über all der Zielgruppenorientierung in Vergessenheit zu geraten droht: Gemeinsamkeit.
Jürgen Hartmann
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