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So malte August Spieß 1881 Isoldes Liebestod für den Märchenkönig Ludwig II. (Quelle: Wikimedia Commons).

Für die Premiere von „Liebestod“ begab sich die Staatsoper Stuttgart erneut in den benachbarten Württembergischen Kunstverein, um dort das Geheimnis von Wagners Musik zu erforschen. Ute Harbusch war dabei.

Wer gestern zur Premiere der Staatsoper Stuttgart in den Württembergischen Kunstverein kam, der kannte seinen Wagner schon. Versprochen war eine Performance, die dem Geheimnis, „wie Musik auf Körper und Geist einwirkt“, auf die Spur kommt, und zwar anhand von nichts Geringerem als dem sogenannten „Liebestod“, jenem Sinn und Verstand hinwegspülenden, grandiosen Schlussmonolog der Titelheldin in Richard Wagners „Tristan und Isolde“. 1865 hatte dieses Werk die bisher geltenden Regeln der Harmonik und der Gattung Oper aus den Angeln gehoben und europaweit Tausende klangsüchtiger Adepten erzeugt, möglicherweise sogar einige Sänger- wie Dirigent:innen in den Tod getrieben, wie wir am Premierenabend erfuhren.

Das Regieduo Johannes Müller und Philine Rinnert legte gemeinsam mit Sounddesigner Ruben Nachtergaele die Untersuchung als immersives Erlebnis an. Das Publikum war Teil der Inszenierung, bewegte sich zwischen Lautsprechern und Bühnenelementen, die einen zinnenbewehrten Turm, ein Labor und DJ-Tische anzitierten. Neben Sprache, Gesang, Bewegung und einer Handkamera war das Hauptuntersuchungsmittel der drei Performer:innen Elisa Soster, Hauke Heumann und Shlomi Moto Wagner die ironische Distanz zu ihrem Gegenstand. Die Lippensynchronisation zum Vortrag eines aufgeblähten Wissenschaftlers, die wörtliche Umsetzung unmöglicher Regieanweisungen sorgten für Heiterkeit. Ein lehrreicher Gag waren schon die anfangs ausgeteilten Schallschutzkopfhörer, die gar nicht vor Schall schützen, sondern erst einmal für wohltuende Ruhe im Kopf sorgen sollten.

Kommt man so dem Geheimnis der Wirkung der „Tristan“-Musik auf die Spur? Natürlich nicht. Die Erklärungen über die Ausbreitung von Schallwellen und den Aufbau des Innenohrs gingen kaum über Unterstufenniveau hinaus. Die Zusammenarbeit der Künstler:innen mit dem Institut für Psychoakustik und Elektronische Musik in Gent – dort erlebte die Performance 2020 ihre Uraufführung – erzeugte zwar keinen wissenschaftlichen, mit den tanzenden Lichtpunkten einer Motion Capture und sinnlosen Balkendiagrammen aber durchaus einen poetischen Mehrwert.

Schließlich kamen noch die Neurotransmitter, namentlich das Dopamin, ins Spiel, das beim Hören von Wagner-Musik ausgeschüttet wird. Es ist kein Glückshormon, lernten wir, sondern funktioniert nach dem Schema Erwartung und Enttäuschung – genauso also wie der berühmte Tristanakkord, der erst ganz am Schluss der Oper aufgelöst wird, wie Rita Kaufmann, die Stellvertretende Studienleiterin der Staatsoper, am Klavier bei einem beeindruckenden Schnelldurchgang durch die Partitur vorführte. Und endlich erklang er wirklich, der „Liebestod“. Eine intime Streichquintett-Fassung, arrangiert von José Reyes und dargeboten von wie aus dem Nichts aufgetauchten Staatsorchester-Mitgliedern, erfüllte, nachdem Tristan auf dem Labortisch gestorben war, endlich unsere schon über eine Stunde angewachsene Erwartung. Das Geheimnis der Musik, so scheint es, bleibt in der Musik.

Weitere Aufführungen am 24. und 25. September | Weitere Infos auf der Website der Oper Stuttgart


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