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Raubkunst, Salsa und migrantische Knollen

Lesezeit: 2 Minuten

„Fünf Exponate“ ist eine Performance über die tiefen Wunden des Kolonialismus. Susanne Benda hat sie sich im Theater Rampe für die Kesseltöne angesehen.

Auf Augenhöhe. Zwei Worte, gesungen von Yahima Piedra Córdoba. Zwei Worte, unter denen jetzt ein Beat liegt und die im Stuttgarter Theater Rampe mit hörbar fremdem Zungenschlag erklingen. Die Komponistin und Musikerin, die sie performt, kommt aus Kuba, und bei der neuen Produktion des Berliner KMZ Kollektivs erlebt man hier so etwas wie einen Ausgleich. Vielleicht sogar einen kleinen Racheakt. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich der globale Norden Kultur und Besitz des globalen Südens angeeignet; nun eignet sich Córdoba eine Rede der ehemaligen deutschen Kulturstaatsministerin Monika Grütters an. Ihre Performance umgibt den Politikersprech mit Salsa und viel Ironie.

Auf Augenhöhe? Von wegen! In „Fünf Exponate“ nähern sich drei in Deutschland lebende Performer:innen ihren lateinamerikanischen Wurzeln in einem spannenden Wechsel der Perspektiven – hier als Forschende, dort als Erforschte. Daniela del Pomar sorgt mit mal witzig comichaften, mal dokumentarischen Videos für ein lebendiges Bühnenbild, und davor umkreisen Laia RiCa aus El Salvador und Antonio Cerezo aus Mexiko mit Bildern, Szenen und Gedanken die Frage, welche Verhaltensweisen aus der Kolonialzeit ihr Denken und Handeln heute noch prägen. Wer bin ich, wer soll und wer will ich sein? Das ist das Thema des Abends.

Ausgangspunkt sind die Forschungsreisen Alexander von Humboldts und sein wertender Blick auf die ehemaligen Kolonialmächte und Kolonien, heruntergebrochen auf die ebenso schlichten wie packenden persönlichen Geschichten der Akteure. Da ist die dunkelhäutige Kubanerin, die sich auf die Spur ihrer europäischen Vorfahren begibt; erst als sie in Berlin von Mitgliedern der schwarzen Community gegrüßt wird, nimmt sie sich auch als dunkelhäutig wahr („Nach meinen afrikanischen Wurzeln hatte ich nie gefragt“). Da ist der mexikanische Schauspieler, der in seiner Heimat nur Rollen von Räubern und Vergewaltigern spielen darf; er leidet am Rassismus im eigenen Land ebenso wie daran, dass er in Europa nur den Latino spielen darf. Die Salvadiorianerin erzählt von der Versprengung ihrer Familie nach der Migration. Es geht um Raubkunst in Museen, um Restitution, um Hoch- und Tiefstatus. Was die einen sammeln nennen, ist für die anderen Raub. Was die einen als Kunst verehren, bezeichnen die anderen als Kunsthandwerk.

Auf dem Bühnenboden liegen Kartoffeln – migrantische Knollen und Symbole gelungener (kulinarischer) Integration. Und Gipsmasken. Am Synthesizer spinnt Piedra Córdoba einen Club-Sound mit vielen Wiederholungsschleifen und reizvollen Steel-Drum-Passagen. Am Ende stehen auf der Bühne: ein mit Gips mumifizierter Spieler, eine von Kartoffeln umhüllte Spielerin. Beide sprengen ihre Fesseln. Und öffnen den Blick für eine Utopie: Wie befreiend es doch wäre, die Unterbrechung der eigenen kulturellen Vergangenheit durch den Kolonialismus endlich aufzuheben und den Blick nach vorne zu richten. In eine Zukunft auf Augenhöhe.

Foto: Gianmarco Bresadola

Nochmals am 17. und 18. November um 20 Uhr im Theater Rampe. Weitere Infos finden Sie hier.


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