Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Umfrage (2): Brauchen wir neue Konzertformate?

Sofia Gubaidulina im Gespräch mit Jörg-Hannes Hahn (links) und Ewald Liska (rechts). Foto: Oliver Schroth

Wieso, weshalb, warum? Brauchen wir neue Formate zur Präsentation klassischer Musik? Wir haben mal nachgefragt bei Kulturschaffenden einerseits und unseren Autoren andererseits.

Von Petra Heinze

Die Bühne ist hell, der Saal dunkel, der kollektive Fokus auf die Künstler und Künstlerinnen gerichtet, und wenn alles vorbei ist, wird mit Applaus belohnt. Nicht ohne Grund hat das herkömmliche Frontalkonzert so lange überlebt. Es zentralisiert die Kunst wie ein Heiligtum auf dem Altar. Ihm gebührt ungeteilte Aufmerksamkeit und Respekt. So ist das Konzert allerdings auch zum Ritual geworden, dessen Kraft auf der Trance der Gewohnheit beruht. Mit ungewohnten Konzertformaten, ob an ungewohnten Orten, in einer ungewöhnlichen Raumauslegung, in Bewegung, im Liegen et cetera, kann es gelingen, den Schleier der Gewohnheit zu lüften und bekannte Musik plötzlich neu oder anders wahrzunehmen, sie noch tiefer in sich aufzunehmen, oder zu scheinbar unzugänglicher Musik einen unmittelbaren, sinnlichen Zugang zu gewinnen. Alles spricht dafür.

Barbara Eckle, Konzert- und Operndramaturgin der Staatsoper Stuttgart

Zwischen Hauskonzerten und Feuerwerksmusik hat es immer unterschiedlichste Formate gegeben. Direkter Kontakt zu Musikern und Musikerinnen sowie ein attraktiver Rahmen, das sind nach wie vor taugliche Maßstäbe. Vor- und Nachbereitung sollten jedes Format erweitern. Die Gefahr ist, sich zu verzetteln: Schwächt die Diversität neuer, kleinerer, mobiler, flüchtiger Formate das gemeinschaftliche Erleben, das ein Konzert ausmacht? Doch die Zeiten sind, wie sie sind: Was seine Aufgabe nicht mehr erfüllen kann, muss sich wandeln, oder es wird verschwinden.

Jürgen Hartmann, Dramaturg und Kesseltöne-Redakteur

Die „Musik am 13.“ war zunächst ein reines Musikhör-Format. 2003 führten wir Komponistenportraits ein, in welchen Neue Musik erklingt und auf der Bühne ein Gespräch zwischen Moderator und Komponist stattfindet. Im gleichen Jahr begannen wir mit der Serie inklusiv-szenischer Kinderkonzerte, später kamen partizipative Elemente wie offenes Singen und Musizieren im Advent oder bei einer Bachkantate dazu. Seit 2014 finden regelmäßig moderierte Konzerteinführungen statt. Da wir uns als Veranstalter an den Bedürfnissen der Konzertbesucher orientieren sollten, kann ich mir vorstellen, dass wir weitere Formate einführen. 

Jörg-Hannes Hahn, Künstlerischer Leiter der Konzertreihe „Musik am 13.“

Manchmal, wenn ich jemand überredet habe, mit mir ein Konzert Neuer Musik zu besuchen, bemerke ich, dass mein Begleiter oder meine Begleiterin nach einer Weile enerviert ist. Vielleicht, weil man ungewohnte Töne nicht so leicht verarbeiten kann? Dann wünsche ich mir die Tage füllenden Sprechtheater-Marathons der 80er Jahre zurück: Da durfte man jederzeit hinausgehen, draußen geistige Getränke zu sich nehmen, sich austauschen und wieder eintreten. Dass man als Zuhörer die Dauer seines Hörens selbst bestimmt, gibt es auf Spezialfestivals schon öfters. Vielleicht auch irgendwann im heimischen Konzertsaal?

Petra Heinze, PR-Frau und Kesseltöne-Redakteurin


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Wie war’s bei figure humaine in der Liederhalle?
    Der Kammerchor figure humaine feiert mit seinem Frühlingskonzert das Fauré-Jahr. Dirigent Denis Rouger hat ein französisch-deutsches Programm zusammengestellt, Ute Harbusch hat zugehört und berichtet Petra Heinze davon.
  • Das Publikum aus der Komfortzone holen
    Eine ungewöhnliche Mischung aus Originalwerken, Bearbeitungen und Improvisationen steuert die Dommusik St. Eberhard zur Bachwoche Stuttgart bei, geleitet von Domkapellmeisterin Lydia Schimmer. Jürgen Hartmann sprach mit ihr.
  • Klangräumlich kakophonisch komplettüberfordert
    Die „Hörspielnacht unterwegs“ sollte laut der Staatsoper Stuttgart das Warten auf die Uraufführung von „Dora“ versüßen – einer Oper von Bernhard Lang auf Texte von Frank Witzel. Solche gab es als Hörspiel im Bus – Holger Schneider hat sich hineingequetscht.
  • Wie die Schallwellen zu den Ohren kommen
    Musik und Bewegung, Klang und Räumlichkeit erforscht die Kanadierin Annesley Black. Am 18. Februar wird ihr Werk „A sound, a narrow, a channel, an inlet, the straits, the barrens, the stretch of a neck” vom Staatsorchester Stuttgart uraufgeführt. Jürgen Hartmann sprach mit der Komponistin.
  • Klangrausch als Gottesdienst
    „Invisible Threads“ heißt das neue Werk des Briten Christian Mason, das beim Stuttgarter Festival Eclat das Arditti Quartet aufführte. Unsichtbare Fäden verknüpfen sich in der Performance Installation mit Texten von Paul Griffiths. Susanne Benda war dabei.