Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Wie war’s beim Nachtschwärmerkonzert der Philies?

Lesezeit: 3 Minuten

Das Sete Quartett als Quadrat im Quadrat

Die Nachtschwärmerkonzerte der Stuttgarter Philharmoniker im Gustav-Siegle-Haus wollen Jazz und Klassik, improvisierte und komponierte Musik, nicht zuletzt aber auch die entsprechenden Rezeptionsgewohnheiten miteinander ins Spiel bringen. Auf dieses Experiment hat sich Ute Harbusch eingelassen und erzählt Petra Heinze davon.

Petra Heinze: Liebe Ute, das von Dir besuchte Nachtschwärmerkonzert im Gustav-Siegle-Haus hieß „Nacht im Quadrat“. Da stelle ich mir eine Art Boxring vor, in dem die Musiker:innen sitzen …

Ute Harbusch: So ähnlich war es: Ein quadratisches Podium, darauf in jeder Ecke ein Stuhl, die Notenständer in der Mitte, und auf allen vier Seiten drumherum saß das Publikum. Statt eines Kampfes fand aber die seit Goethe sprichwörtliche vernünftige Unterhaltung der vier Streichinstrumente statt, und wir sollten uns nicht wie in einer Arena, sondern wie in einem Salon um 1800 fühlen, als die Zuhörer auch ganz nah dran an den Spielenden waren, wie uns der Dramaturg Albrecht Dürr einleitend erklärte. So zumindest war das Setting oben im Probensaal der Stuttgarter Philharmoniker. Unten im Jazzclub Bix saßen wir an runden Tischen frontal zur Bühne. Das Quadrat bezog sich hier nur noch auf die Vierzahl der Musiker.

Petra Heinze: Und was und wie spielte das Sete Quartett, das aus Mitgliedern der Phillies besteht?

Ute Harbusch: Semiramis von Bülow-Costa, Louis Nougayrède, Johannes Krause und Wolfgang Herrmann haben Beethovens op. 74 aus dem Jahr 1809 gespielt, das sogenannte „Harfenquartett“. Weniger als über die Qualität des Spiels habe ich über den Rahmen nachgedacht, in dem gespielt wurde.

Petra Heinze: Was passierte danach? Man ging einen Stock tiefer ins Bix?

Ute Harbusch: Wer das vollständige Programm mitgemacht hat und nicht erst bei Beethoven eingestiegen ist, durfte sogar zweimal wandern, einmal hoch, dann wieder runter: Erst gab es im Jazzclub Gastronomie und dazu als Vorprogramm das Lukas-Wögler-Alternate-Quartett, dann das besagte Streichquartett, dann wieder Jazz mit Libor Šima, Mini Schulz, Obi Jenne und Olaf Polziehn aus Graz am Klavier. Sie widmeten ihr Programm dem „Lost Album“ von John Coltrane von 1963.

Petra Heinze: Und wie ging es Dir damit? Ergab das auch eine vernünftige Unterhaltung?

Ute Harbusch: Es klang nicht mehr und nicht weniger vernünftig, nur halt sehr viel lauter. Das Opus 74 und das „Lost Album“ sind für Beethoven wie für Coltrane Übergangsstücke, auf dem Weg zum Spätstil. Und der war weder hier noch dort so besonders vernünftig. Im direkten Vergleich war gut zu hören, wie beide Arten von Musik auf ähnlichen Grundprinzipien aufbauen: dem Konzertieren und Variieren, der Steigerung und der Abwechslung und so weiter. Aber sie folgen unterschiedlichen Konventionen. Das geht von der Kleidung über die Moderation bis zu der Frage, an welchen Stellen man applaudieren soll oder eben nicht. Und warum muss ein Jazz-Quartett vor dem Start nicht nochmal stimmen? Warum zählt ein Streichquartett das Tempo nicht laut an?

Petra Heinze: Haben sich die Welten denn auch vermischt im Kopf?

Ute Harbusch: Natürlich haben sich die Welten berührt, durch die intendierte, unmittelbare Nähe konnte das gar nicht anders sein. Aber vermischt haben sie sich nicht, eher sind die jeweiligen Eigenheiten deutlicher geworden. Ich würde nicht so weit gehen wie Obi Jenne in seiner Abmoderation. Er meinte, jeder habe einfach gute Musik auf seiner persönlichen Playlist, egal ob Bach, Miles Davis, Mozart, Hendrix, Stockhausen oder Hiphop.

Petra Heinze: Bist Du als echter Klassikfan vielleicht nicht ganz die Zielgruppe für diese Veranstaltung? Wer war noch so da?

Ute Harbusch: Doch, Abwechslung finde ich immer gut. Lieber eine Weinprobe als ein volles Glas. Und grade weil ich’s im klassischen Konzert nicht darf, habe ich es sehr genossen, im Club mit meinen Tischnachbarn reden, zur Musik ein Glas trinken und sogar mal die Nachrichten auf dem Handy checken zu dürfen. Mir schien, es waren noch ein paar echte Klassikfans wie ich da, außerdem vor allem Leute zwischen zwanzig und siebzig, die dieses aus dem Rahmen fallende Format mögen.

Das nächste Nachtschwärmerkonzert findet unter dem Motto „Tzigane“ am 29. Januar 2022 statt. www.stuttgarter-philharmoniker.de


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Kulturbeutel (1): Kaiser Wilhelm und die Stolze von Berlin
    Keine Reise ohne Kulturbeutel. Zur Reisezeit weichen die Kesseltöne ein wenig von den Pfaden der Hochkultur ab. Als Erster öffnet Jürgen Hartmann seinen Kulturbeutel und begibt sich auf die Suche nach dem Großen im Kleinen. Dafür ist sein Garten ein guter Ort, findet er.
  • Unendliche Weiten beim Festival Uhlandshöhe
    Nah bei den Sternen erlebt Holger Schneider den Eröffnungstag des Festivals Uhlandshöhe. Unter freiem Himmel genießt er mediterrane Atmosphäre und Raritäten des italienischen sowie französischen Repertoires. Ob da auch ein Schubert passt?
  • Wie war’s bei il Gusto Barocco in der Johanneskirche?
    Ein Programm mit Instrumentalwerken von Gabrieli bis Scheidt präsentierte das Ensemble il Gusto Barocco in seiner „Stuttgarter Reihe“. Ute Harbusch war dabei und erzählte Petra Heinze davon.
  • Getanzte Angst, getanzter Weltfriede beim Colours Festival im Theaterhaus
    Beim Colours International Dance Festival im Theaterhaus war abermals Tanz aus aller Welt zu Gast – und unsere Autorin Angela Reinhardt auch.
  • Kammerchor figure humaine mit kühl beglückender Schönheit
    Der in Stuttgart verwurzelte Kammerchor figure humaine hat in der Martinskirche Möhringen eine Werkschau des französischen Komponisten Philippe Mazé aufgenommen. Jürgen Hartmann hat sich die soeben veröffentlichte CD angehört.