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Wie war’s bei „Alice im Wunderland“?

Lesezeit: 2 Minuten

Sind das noch harmlose Späße? Das Theater tri-bühne empfiehlt seine Bühnenfassung von Lewis Carrolls Kinderbuchklassiker für Zuschauer:innen ab 14 Jahren. Ute Harbusch hat die neue Produktion gesehen und mit Petra Heinze darüber gesprochen.

Petra Heinze: Liebe Ute, Du warst mit zwei halbwüchsigen Jungs in „Alice im Wunderland“. Was haben die dazu gesagt?

Ute Harbusch: Der eine hat sich gleich im Rausgehen beschwert: „Das hättest du vorher sagen sollen, dass das SO ist. Da war ja so viel Gewalt!“ Der andere meinte: „Die Geschichte vom Murmeltier bei der Teegesellschaft, die war superkomisch.“ Aber sonst gab’s nicht viel zu lachen.

Petra Heinze: Ja, wie im klassischen Märchen geht es auch in diesem Kinderbuch ganz schön gewalttätig zu. Wie wird das auf der Bühne dargestellt?

Ute Harbusch: Das war kein Abend zum Staunen, kein magischer Theaterzauber, um diese ganzen Wunderbilder und Verwandlungen darzustellen. Im Gegenteil: Keine Illusionen. Renáta Balogh hat eine Guckkastenbühne mit grünem Plastikrasen und klasse Kostüme geschaffen, die zwischen Kindertheater und Horrorshow changierten. Einfache Mittel wie gestapelte Plastikstühle oder ein Puppenhaus als unbequeme Weste haben Alices Größenwechsel veranschaulicht. Die verbale Gewalt, die dem Text innewohnt – Alice wird ja im Wunderland pausenlos zurechtgewiesen, herumkommandiert, mit dem Tod bedroht –, wurde als körperliche Bedrohung ins Spiel übertragen. Die anderen Figuren rückten ihr buchstäblich zu Leibe, gingen ihr an die Wäsche und zogen sie, wirklich, über den Tisch. Fünf Schauspieler:innen aus der Ukraine waren auch beteiligt – ohne Putins brutalen Krieg hätten sie sicher keinen Grund, hier Theater zu spielen.

Petra Heinze: Bei Carroll ist das wohl auf die strenge und wenig liebevolle Erziehung der Viktorianischen Zeit gemünzt. Was hatte die Regie hier und heute im Blick?

Ute Harbusch: Zwei Lesarten habe ich nebeneinander gesehen, ganz klar wurde mir das nicht. Die erste wäre: die Welt als Irrenhaus. Das ist kein harmloser Nonsens, sondern echter, gefährlicher Irrsinn. Die Gerichtsverhandlung, bei der das Todesurteil schon vor Vernehmung der Zeugen verkündet wird, hat Alice schier selbst in den Wahnsinn getrieben. Im Mantel, verkehrt herum als Zwangsjacke getragen, kann sie diese Welt mit Ach und Krach durch den Notausgang verlassen. Die andere Deutung wäre: Wir sind schon in der Hölle aus Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ angekommen. Denn zu Beginn des Spiels hat Alice erst einmal alle anderen durch Kopfschuss erledigt.

Petra Heinze: In der Vorankündigung ist von Popmusik die Rede, die den Alice-Stoff zitiert. Wie wird sie eingesetzt?

Ute Harbusch: Von wenigen Klaviertakten abgesehen, kam die Musik aus der Konserve. Sie diente ein-, zweimal als Tanzeinlage zur Auflockerung, die übrigen Songs wurden mit Playback oder live gesungen. Einen direkten Bezug zum Stoff habe ich nur bei „White Rabbit“ erkannt, oder bei „Majesty“ von den Beatles zum Auftritt der Herzkönigin. Ansonsten schienen es mir ironische Kommentare zum Geschehen zu sein, wie zum Beispiel das einleitende „Perfect Day“.

Petra Heinze: Und wie hat es Dir insgesamt gefallen?

Ute Harbusch: In der schauspielerischen Qualität gab es ziemliche Unterschiede. Aber die Umsetzung, die Deutung dieses Textes für heute, ist gelungen, das Regiekonzept von Florian Dehmel geht auf. Es ist ja nicht die Schuld der Theaterleute, dass man heute nicht mehr über jeden Unsinn lachen kann.

Foto: Anton Avdieiev
Weitere Vorstellungen am 5., 7., 8. Februar sowie im März und April
www.tri-buehne.de


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