Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Wie war’s beim Evensong in der Gaisburger Kirche?

Lars Schwarze ist seit 2021 Kantor der Gaisburger Kirche. Der 28-Jährige möchte dort Kirchenmusik in unterschiedlichen Formaten neu erlebbar machen. Ute Harbusch war beim Evensong vor Ort und sprach mit Petra Heinze darüber.

Petra Heinze: Liebe Ute, der Evensong integriert in strenger Form Chor- und Orgelmusik in einen Abendgottesdienst. Ist das als Konzertformat nicht sehr elitär?

Ute Harbusch: Ein Evensong nach anglikanischer Tradition hat tatsächlich eine feste, liturgisch geprägte Struktur, entwickelt aus dem Stundengebet. Er ist theoretisch sogar ohne Musik möglich, aber natürlich hat gerade der Chorgesang ihn zu einer vor allem in England so beliebten Form gemacht, dass die BBC wöchentlich einen Evensong aus einer der Kirchen des Landes überträgt. Was ich in der Gaisburger Kirche erlebt habe, war eher ein evangelischer Gottesdienst mit viel Musik, dargeboten vom Akademischen Chor der Universität Stuttgart und dem Organisten Lars Schwarze. Elitär also allenfalls insofern, als ein Kirchenbesuch nicht mehr zum Mainstream gehört.

Petra Heinze: Mit elitär meinte ich den Umstand, dass der Besuch eines Gottesdienstes, wenn auch mit großem musikalischem Anteil, für Nichtgläubige eine Hürde ist. Ist man da nicht sehr unter sich?

Ute Harbusch: Ist man nicht in den meisten Konzerten „unter sich“, jede Konzertform und Musikrichtung mit ihrem je eigenen Publikum? Andersherum könnte man sagen, hat der Akademische Chor in den Gemeindemitgliedern vielleicht Zuhörer:innen gehabt, die sonst nicht unbedingt in ein Chorkonzert gehen würden. Andere wiederum sind, so schien es zumindest beim Glaubensbekenntnis und beim Vaterunser, nur der Musik wegen gekommen.

Petra Heinze: Also im Gegenteil eine Publikumsgewinn-Maßnahme für Musik einerseits und Gott andererseits?

Ute Harbusch: Ja, ich denke, Lars Schwarze als Initiator der Evensong-Reihe hat da eine echte Win-win-Situation geschaffen. Gott braucht unsere Hilfe sicher nicht, aber die Kirche kann sie definitiv brauchen, ebenso wie der Klassikbetrieb. Dem Liturgen Wolfgang Marquardt war es interessanterweise wichtig zu betonen, dass wir einen Gottesdienst und kein Konzert erleben. Trotzdem gab es zum Schluss sogar gleich zweimal Applaus für die Musiker:innen. Warum applaudiert man seiner Pfarrerin, seinem Pfarrer eigentlich nicht auch mal? In der Geschichte der Kirchenmusik, vor allem der katholischen, gab es immer wieder den Vorwurf, die Musik verselbständige sich zu sehr und solle sich mehr auf ihre dienende Funktion besinnen. Andererseits kann man Musik, so wie die ganze kirchliche Pracht aus Architektur, Bildhauerei, Malerei, als gesteigerte Anbetung Gottes verstehen.

Petra Heinze: Und wie hat Dir, die Du ja für beide Abteilungen bereits gewonnen bist, das Format gefallen?

Ute Harbusch: Ich als musikliebende Kirchgängerin war doppelt in meinem Element und gehe bestimmt wieder hin. Nicht zu vergessen: In zwei Gemeindeliedern durfte ich sogar selbst mitsingen – das habe ich in einem Konzert in der Regel nicht.

Petra Heinze: Also war es auch ein Singalong … Was hatte Herr Schwarze denn für Musik ausgewählt?

Ute Harbusch: Vor allem englische Chormusik, von William Byrd über Edward Elgar bis George Dyson. Henry Balfour-Gardiners „Evening Hymn“ ist wohl so gut wie kanonischer Bestandteil eines jeden englischen Evensongs. Eher in der deutschen evangelischen Tradition stand Mendelssohns „Hebe deine Augen auf“, noch vor dem Einzug vom Frauenchor a cappella aus dem Vorraum gesungen. Mein Highlight war die aufwühlende, theatralische Hymne „For lo, I raise up“ von Charles Villiers Stanford.

Petra Heinze: Warum?

Ute Harbusch: Die Textgrundlage ist ein bildgewaltiger Anruf des alttestamentlichen Propheten Habakuk um Gottes Beistand zur Zerstörung der chaldäischen Weltmacht. Wie in einer Choroper mit Orgel sah man zu spätromantisch-üppigen Harmonien die Reiter durch die Wüste sprengen, ein zarter Solo-Sopran als Engel stellte sich dem entgegen, Männer- und Frauenchor antworteten einander und illustrierten packend das Geschehen. Hier hat die Musik alle Register gezogen, um Gottes Wort zu noch mächtigerer Wirkung zu verhelfen.

Der Akademische Chor der Universität Stuttgart beim Evensong in der Gaisburger Kirche

www.stuttgart-ost-evangelisch.de


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Busoni, der unerhörte Europäer
    Wegen des Männerchors ins Konzert, enttäuscht wegen dessen allzu kurzen Auftritts – aber unverhofft überwältigt und begeistert von Ferruccio Busonis Klavierkonzert. So erging es unserem Rezensenten Holger Schneider im Konzert des SWR-Symphonieorchesters.
  • Das Frühlingsrätsel: Wer schrieb das?
    „Del hielo libera a corrientes y arroyos la preciosa y vivificante mirada de la primavera. En la laguna se enverdece la suerte de la esperanza.
  • Wie war’s bei figure humaine in der Liederhalle?
    Der Kammerchor figure humaine feiert mit seinem Frühlingskonzert das Fauré-Jahr. Dirigent Denis Rouger hat ein französisch-deutsches Programm zusammengestellt, Ute Harbusch hat zugehört und berichtet Petra Heinze davon.
  • Das Publikum aus der Komfortzone holen
    Eine ungewöhnliche Mischung aus Originalwerken, Bearbeitungen und Improvisationen steuert die Dommusik St. Eberhard zur Bachwoche Stuttgart bei, geleitet von Domkapellmeisterin Lydia Schimmer. Jürgen Hartmann sprach mit ihr.
  • Klangräumlich kakophonisch komplettüberfordert
    Die „Hörspielnacht unterwegs“ sollte laut der Staatsoper Stuttgart das Warten auf die Uraufführung von „Dora“ versüßen – einer Oper von Bernhard Lang auf Texte von Frank Witzel. Solche gab es als Hörspiel im Bus – Holger Schneider hat sich hineingequetscht.