Was tut man, wenn keine Konzerte stattfinden dürfen? Man liest Bücher über Musik. Hier sprechen Ute Harbusch und Petra Heinze (Bild) über Alissa Walsers Debütroman aus dem Jahr 2010.
Petra Heinze: Liebe Ute, man sollte meinen, ein Roman über zwei so schillernde Persönlichkeiten wie den Arzt Franz Anton Mesmer und die blinde Musikerin Maria Theresia Paradis sei spannend wie ein Krimi, oder?
Ute Harbusch: Einen Krimi hatte ich nicht erwartet, sondern einen packenden historischen Roman über Spätaufklärung, Anfänge der Psychotherapie und Musik. Aber Du hast Recht, ein psychologischer Krimi hätte es werden können, dafür braucht es ja nicht unbedingt einen Mord. Die Beziehung zwischen Therapeut und Patientin hat immer Dynamik, hier noch dadurch verstärkt, dass Mesmer mit seiner Heilung von Maria Theresia Paradis endlich den wissenschaftlichen Durchbruch erzielen wollte. Da die Behandlung scheiterte, ist ihm das nicht gelungen, aber Paradis verwirklichte sich trotz ihrer fortdauernden Blindheit als europaweit erfolgreiche Konzertpianistin. Fandest Du es denn spannend?
Petra Heinze: Ich fürchte, die historischen Figuren haben Frau Walser gar nicht interessiert. Sie erzählt vielmehr die Geschichte einer gelungenen Psychotherapie und damit einer Emanzipation: Maria Paradis entscheidet sich hier bewusst für ihre Blindheit, da sie bei ihr mehr Kreativität freisetzt. Somit ist die Behandlung nicht misslungen. Nach vielen Zurichtungen von verschiedenen Ärzten bietet Mesmer ihr einen therapeutischen Freiraum an, in dem Paradis eine schöpferische und glückliche junge Frau wird. Aber eingeatmet habe ich das Buch nicht gerade. Die Figuren blieben mir fremd. Einzig ans Herz wuchs mir der Sidekick, ein unwahrscheinlich schlauer, großer schwarzer Hund. Lag das an der Sprache?
Ute Harbusch: Die Erzählkonstruktion war klug gewählt: Abwechselnd wird aus Mesmers und Paradis‘ Perspektive erzählt. Aber letztlich sprechen beide dieselbe Sprache, nämlich die von Frau Walser. Zunächst hatte sie dichte, faszinierende Erzählungen geschrieben. In ihrem Romanerstling gibt es für meinen Geschmack zu viele bedeutungsschwangere Sätze wie: „Es braucht mehr als die Kraft der Muskeln, die Welt so zu sehen, dass sie einen erkennt.“ Damit komme ich den Figuren nicht näher, was schade ist.
Petra Heinze: Wir haben das Buch ja auch ausgesucht, weil der Titel uns Erhellendes über Musik versprach, aber auch da habe ich nicht viel gelernt …
Ute Harbusch: Man erfährt, dass Maria Theresia Paradis mit Mozart zusammen Plätzchen aß oder zumindest davon träumte, dass sie sang, konzertierte und das Lied „Ich war ein kleines Würmchen“ sowie eine Sicilienne komponierte. Ob diese wirklich von ihr stammt, wird inzwischen bezweifelt. Dass sie über sechzig Klavierkonzerte auswendig beherrschte, Haydns G-Dur-Konzert in Paris zur Uraufführung brachte, eine mehrjährige Konzertreise durch ganz Europa unternahm, dass sie Kantaten, Lieder, Klavierkonzerte, Kammermusik und Opern schrieb und eine Musikschule gründete, erfährt man nicht. Ganz zu schweigen davon, dass sie als Pionierin der Blindenbildung so etwas wie die Helen Keller der Goethezeit war.
Alissa Walser, Am Anfang war die Nacht Musik, Piper Verlag, München.
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