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Er könnte die Wirrsal der Digitalisierung beklagen, aber unverhofft hat sie Jürgen Hartmann etwas vermeintlich Altmodisches zurückgezaubert: Das konzentrierte Radiohören. Hier seine digitalen Radiotipps.
Zum Radio habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Niemals konnte ich mit laufendem Gerät Hausaufgaben machen und bis heute lenkt mich musikalische Berieselung – und erst recht Gesprochenes – ab. Unbeliebt machte ich mich hier und da: Könnten Sie das vielleicht ausschalten? Oder wenigstens leiser machen?
Andererseits sind mit dem Radio schöne Kindheitserinnerungen verbunden. Da wurden nach dem Abendbrot zwei tütenartige Wandlampen angemacht, eine rot, eine grün, man setzte sich auf das Küchensofa oder in den bequemen Stuhl am Fenster, und dann wurde Radio gehört. Wirklich! Damals vor allem Hörspiele, besonders gerne Kriminalhörspiele.
Wahrscheinlich bin ich nicht der Einzige, der als Erwachsener nicht mehr dazu kam, interessante Sendungen zum einzig möglichen Zeitpunkt zu hören. Berufliches und Privates grätschte dazwischen. Aufzeichnen war umständlich und bei Abwesenheit kaum möglich, und Nachhören ging allenfalls, wenn es einen Mitschnittservice gab – das war umständlich und kostete.
Heute ist alles anders. Schweigen wir vom eingeebneten Klassikprogramm, schweigen wir vom alarmsüchtigen News-Fetischismus. Schwärmen wir von Dingen, die einem die Freude am Hörfunk zurückbringen können, von Podcasts und Audiotheken. Für mich ist mit der Möglichkeit, eine Sendung oder einen Beitrag hören zu können, wenn ich hören kann, ein Traum in Erfüllung gegangen. Und den will ich nun mit Ihnen teilen.
Erstens: Die BBC – lieben wir sie, solange es sie noch gibt!
Boris Johnson will die BBC zerschroten und wir werden es nicht verhindern können. Sonnen wir uns im Glanz ihrer späten Jahre: Mit der App BBC Sounds kann man nicht nur viele, viele Sendungen nachhören, sich über Sendungen zu selbst ausgewählten Themen benachrichtigen lassen oder die älteste noch existierende Radioserie der Welt Friday Night is Music Night mit gehobener Unterhaltungsmusik abonnieren. Mein ultimativer Tipp ist das In Tune Mixtape, das mehrmals die Woche dreißig Minuten ungeahnte, kühne Kombinationen von E- und U-Musik bringt.
Zweitens: Gutes vom SWR – das Musikstück der Woche
Dieser Podcast, der wöchentlich eine neue Folge bringt, präsentiert eher kürzere Live-Aufnahmen einzelner Werke von Konzerten aus dem Sendegebiet des SWR. Die Mischung stimmt, die Ausführenden sind gut, was will man mehr? Nun, vielleicht eine ganz kurze Einführung ins Werk – und ich hätte gerne den Sprecher zurück, der am Schluss des Podcasts das Wort „Download“ so unvergleichlich zerkaute!
Drittens: Die Sendung „Historische Aufnahmen“ im Deutschlandfunk
Als ich die Sopranistin Edith Mathis in dieser Sendereihe hörte, musste ich mir eingestehen: Ich werde alt. Es ist wirklich schon so lange her, dass ich als junger Karajan-Fan die verschiedenen Aufnahmen dieser beiden hörte? Das gilt jetzt wirklich schon als historisch? Jenseits dieser privaten Erkenntnisse kann man in dieser Radioserie ganz großartige Entdeckungen machen, zumal es von Moderatorin oder Moderator meistens auch viel Sachkundiges zu hören gibt. Glücklicherweise wurde vor einiger Zeit eine Sendung über Agnes Giebel, eine überaus geschätzte Bach-Interpretin der frühen Bundesrepublik, wiederholt – und man staunte, wie modern das vermeintlich Historische sein kann.
Man kann noch viel mehr aufspüren. Schalten Sie die Tütenlampen ein, und das Smartphone dazu. Es gibt sogar Bluetooth-Lautsprecher, die wie ein altes Radio aussehen. Auch wenn Sie wie ich eigentlich skeptisch gegenüber den vielen digitalen Angeboten sind, möchte ich Sie zum Aufbruch ermutigen: Gerade die Öffentlich-Rechtlichen auf diese Weise erkunden und nutzen zu können, lässt die Diskussion um Rundfunkgebühren in meinen Augen zum Streit um des Kaisers Bart schrumpfen.
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