In Quasi-Quarantäne hört Jürgen Hartmann Radio und damit virtuellen Konzertformaten zu.
Es ist nicht leicht in diesen seltsamen Tagen, die rechte Balance zwischen dem nötigen Ernst und einem gewissen Bedürfnis nach Abwechslung, nun gut, sagen wir Ablenkung zu wahren. Darf man hier und heute denn überhaupt über so etwas wie Musik nachdenken? Ich erspare uns Recherchen über die gesundheitliche Wirkung von schönen Tönen; es wird sie wohl geben. Aber nach einem wie im Nebel verbrachten Wochenende sage ich: Ja, man darf sich auch unterhalten. Wobei der Doppelsinn dieses Wortes nun auffällig ist, denn wenn ich mich schon bald nicht mehr mit Mitmenschen unterhalten darf, jedenfalls nicht in Gruppen und nicht von Angesicht zu Angesicht, dann darf ich mich wenigstens mit Musik unterhalten. Auch da wieder ein Doppelsinn, oder nicht?
Kurzum: Konzerte gibt es derzeit nicht live, natürlich gibt es sie dennoch zahlreich im Radio, aber ich nehme das vorläufige und furchtbar verfrühte Ende der Konzertsaison zum Anlass, auf zwei besondere konzertante Formate im Radio hinzuweisen. Regelmäßig erfreue ich mich am SWR-Podcast „Musikstück der Woche“. Nicht nur weil der Programmsprecher sich am Ende immer auf unnachahmliche Weise das Wort „Download“ im Munde zergehen lässt, sondern weil diese Sendereihe einen Querschnitt bietet aus der klassischen Musik an sich und aus dem südwestdeutschen Konzertleben. Wenn angesagt wird, dass das aktuelle Stück etwa in der Fruchthalle Kaiserslautern oder in der Villa Ludwigshöhe bei Edenkoben aufgenommen wurde, wird die Vielfalt unseres Musiklebens spürbar, will man am liebsten gleich aufbrechen. Ach so, geht ja gerade nicht…
Mein allerliebstes Radioprogramm indessen kommt aus London. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich erstmals und zufällig das „In Tune Mixtape“ von BBC Radio 3 hörte. Jeden Abend um sieben gibt es eine halbe Stunde ununterbrochene Musik, die manchmal unter einem bestimmten Motto wie „Music for celebration“ oder gar „Let’s be happy“ steht, oft aber auch nur britisch-pragmatisch einen Titel hat wie „The perfect classical half hour“. Und ich, der ich über die verhackstückenden Klassikprogramme ebenso die Nase zu rümpfen pflege wie über den nur scheinbar kühnen Mix aus E und U, der einige Kulturwellen gebrochen hat; ich wage es kaum zu sagen: Beim „In Tune Mixtape“ macht mir weder die Beschränkung auf einzelne Klassiksätze noch deren zupackende Kombination mit Jazz oder Folklore etwas aus. Ich bin überzeugt, die Programmmacher knobeln jede Sendung genau aus, hinsichtlich der Tonarten, hinsichtlich der musikalischen Aussage. Und hinsichtlich der Länge. Ausgeblendet wird nämlich nicht! Es ist ein allabendlicher Geniestreich, dieses „In Tune Mixtape“, und es wird mir die nächste Zeit wenigstens musikalisch versüßen.
So ein „In Tune Mixtape“ als Livekonzert! Darüber könnte man mal nachdenken. Man hat ja jetzt Zeit dafür.
https://www.bbc.co.uk/programmes/b096ykj4 (BBC Radio 3 In Tune Mixtape)
https://www.swr.de/swr2/musik-klassik/musikstueck-der-woche/index.html (SWR 2 Musikstück der Woche)
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