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Wie war’s bei figure humaine in der Liederhalle?

Der Kammerchor figure humaine feiert mit seinem Frühlingskonzert das Fauré-Jahr. Dirigent Denis Rouger hat ein französisch-deutsches Programm zusammengestellt, Ute Harbusch hat zugehört und berichtet Petra Heinze davon.

Petra Heinze: Liebe Ute, der Titel des Konzerts ist „Rencontre“ und verspricht laut Programmheft Begegnungen in den Texten, zwischen französischer und deutscher Musik, zwischen Komponisten, die Fauré beeinflusst hat und die ihn beeinflusst haben. Wird das eingelöst?

Ute Harbusch: Vollauf! Außer von Gabriel Fauré, dessen 100. Todestags wir in diesem Jahr gedenken, erklang Musik von seinen Schüler:innen und Nachfolgern Nadia Boulanger, Maurice Ravel und Pierre Villette. Der französischen Mélodie begegnete das deutsche Kunstlied. Und es gab eine Begegnung mit Schumann, den Fauré über seinen Lehrer Saint-Saëns kennengelernt hatte. Außerdem begegneten sich in den Texten Liebespaare, Mensch und Welt, Orient und Okzident. Und es kam zur Begegnung von Salon und Kirche: Ein Drittel der Stücke war im weitesten Sinne geistliche Musik. „Rencontre“ heißt auch die dritte CD des Chores, die eben erschienen ist, wobei nur ein einziges Lied der neuen CD im Konzert zu hören war.

Petra Heinze: Klang die französische Musik anders als die deutsche?

Ute Harbusch: Tatsächlich habe ich die erste Konzerthälfte als eine gezielte Gegenüberstellung von französischer Leichtigkeit und deutscher Gewichtigkeit gehört. Charme, Raffinesse und Parfum im ersten, Tatenarmut und Gedankenschwere im zweiten Teil. Das Scharnier war eine Novellette von Schumann: Gelegenheit für Kerstin Mörk, ihre pianistische Kunst nicht nur als ausgezeichnete, präzise und ausdrucksvolle Begleiterin, sondern auch solo unter Beweis zu stellen.

Petra Heinze: Von den 18 aufgeführten Stücken waren acht Bearbeitungen von Liedern für Chor. Warum?

Ute Harbusch: Denis Rouger hat den Kammerchor figure humaine gewissermaßen gegründet, um seine Bearbeitungen französischer und deutscher Klavierlieder aufzuführen. In Clytus Gottwaldscher Manier überträgt er die Vielfalt und Schönheit des deutschen und französischen Sololiedes in das Medium Chor, was durchaus etwas hat. Die klanglichen Möglichkeiten sind reicher. Das, was Solosänger und Pianistin an gestalterischer Flexibilität an den Tag legen müssen, kann Rouger den verschiedenen Gesangsstimmen in ihre Linien schreiben. Nicht musikalisch, sondern textlich passiert dabei allerdings etwas Merkwürdiges, dachte ich mir beim Anhören der Bearbeitungen: Ein Lied hat ja oft ein lyrisches Ich, das als Rollenrede verstanden werden kann. Was passiert aber mit diesem Ich, wenn eine ganze Gruppe es singt? Dann verliert sich der direkte, individuelle Ausdruck und es entsteht ein Kunsterzeugnis.

Petra Heinze: Zwei Werke waren vom Dirigenten Rouger selbst. Wie sind die?

Ute Harbusch: Das waren Stilkopien. Saint-Saëns, Fauré, Messiaen, Boulanger, diese französischen Komponist:innen waren ja alle auch ausgebildete und aktive Kirchenmusiker:innen. Rouger selbst war lange Jahre an Notre-Dame und La Madeleine tätig gewesen, bevor er nach Stuttgart kam. Mit seinen zwei A-cappella-Kompositionen hat er seinen Vorgängern an der Pariser Madeleine eine Hommage erwiesen, es war Musik im Stil der Spätromantik.

Petra Heinze: Der Chor ist für seine Klangsinnlichkeit berühmt. Zu Recht?

Ute Harbusch: Auf jeden Fall. Es war ein Hochgenuss. Ganz leichte Soprane, ein volles, warmes Pianissimo, das den Saal durchdringt, dynamische Kontraste auf kleinsten Raum, wenn sich der Chor innerhalb weniger Takte vom Piano zu einem kräftigen, strahlenden Forte steigert, rhythmisch immer ungemein genau – ein Ohrenschmaus! Mir schien nur, dass der Chor während der ersten zwei, drei Stücke erst zu sich finden und Selbstvertrauen gewinnen musste. Und ab und zu wirkten die Tenöre, wenn sie in der Höhe exponiert waren, ein bisschen unsicher. Das sind aber minimale Einwände. Viele Stücke gelangen schlicht makellos und perfekt. Besonders beeindruckend waren „An die Sterne“ und „Talismane“ aus Schumanns doppelchörigen Gesängen op. 141 a cappella.

Petra Heinze: Was würdest Du Dir wünschen, wenn das Konzert wiederholt würde?

Ute Harbusch: Ich wünsche mir immer, dass man mir noch mehr erklärt. Es ist schon so, dass Denis Rouger das Mikro in die Hand genommen und zu Beginn kurz die Grundidee des Konzerts skizziert hat. Aber warum nicht gleich eine richtige Einführung vorweg? Es war ohne Frage ein sorgfältig gebautes Programm. Gern hätte ich noch mehr über die Hintergründe dieser Zusammenstellung erfahren. Was ich dagegen lobenswert fand: Die Textwiedergabe der französischen Originale und auch die deutschen Übersetzungen im Programmheft waren ganz ausgezeichnet! Das Programmheft ist eine richtige kleine Anthologie, die man nach Hause mitnehmen kann, um seine frankophile Seele daran zu erfreuen. Ebenso wie die neue CD natürlich.

Foto: NB-Fotografie

Das Konzert wird noch einmal am 7. April in der Stadtkirche Offenburg gegeben.

www.figurehumaine.com


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