Die „Hörspielnacht unterwegs“ sollte laut der Staatsoper Stuttgart das Warten auf die Uraufführung von „Dora“ versüßen – einer Oper von Bernhard Lang auf Texte von Frank Witzel. Solche gab es als Hörspiel im Bus – Holger Schneider hat sich hineingequetscht.
I
Montag irre eng alles. Bescheuertes Minutengedränge. Ich schaffe es: Nein wie malerisch das Abend-Ensemble, zwei motzige Luxusverbrenner vor dem königlich beleuchteten Littmann-Opernbau. Fotoooo! Die Nilgänse unbeeindruckt. Erwartungsfrohe Menschen steigen ein zur ersten „Hörspielnacht unterwegs“ der Staatstheater Stuttgart. Autor Frank Witzel (Spoiler à Ende) sendet Audiobotschaft. Verspricht einen richtigen Witzel-Abend. Na aber hallo. Hallo? Hör ich was? Hörspiel? Ja doch, will eingepegelt sein. Titel: Die Erfindung der Roten-Armee-Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Jahr 1969. Nach dem „Romangiganten“ (Staatsoper) von über 800 Seiten, „kunstvoll gewebt“ (BR) und „ein großer Steinbruch […] ein hybrides Kompendium aus Pop, Politik und Paranoia“ (Jury des Deutschen Buchpreises 2015). Eingedampft vermittels klangräumlicher und musikalischer Finessen zu einem doch recht ausführlichen Hörspiel. Deutscher Hörbuchpreis 2017, ausgewählt unter 324 Titeln. Wer auch immer sich das alles angehört hat. Blende vor, Blende zurück, das geht klar soweit. Fiktion und Fakten. Der rote Faden aber will weg. Bleib dran. Der Diesel grummelt. Die Busse schleichen. Unsichtbar. Stehlen sich durch schauderhaft hässliche Kulissen. Es regnet. Was für ein Regieeinfall. Ich fühle Unwohlsein. Fahren wir noch? Wo werden wir hingebracht? Auf der Nebenbank zwei extrovertiert weinhauchige Damen. Quatschen witzeln komplettüberfordert. Die ganze Fahrt über. Dauert. Bleib dran. Die Stimmen nehmen mich gefangen. Stammheim Justizvollzugsanstalt. Die Karossen warten bei laufendem Aggregat warum auch immer ich komm nicht drauf. Wir dürfen nicht raus nicht rein. Die Stimmen verschwimmen wieder. Sonorige Sprechkunst wirklich sehr fein. Zu einschmeichelnd. Manche tun ein bisschen weh, aber nicht bös. In Stimmen sich verlieben. Die Damen nebenan quatschen fernerhin. Bleib dran.
II
Im JOiN (beachtedieschreibweise für das derzeitige Domizil der Jungen Oper im Nord) Teil zwo, „Drink inklusive“. Ein Weißweinchen wird sachte zubezahlt. Gerechtigkeit muss sein. Der Weg war das Ziel denke ich. Die Pause wie in der Oper. Notwendig-überflüssiger Überbrückungsversuch. Ich bin noch immer „Teil einer Reihe von Veranstaltungen, mit der wir während der Probenzeit das Warten auf Dora verkürzen wollen“ (Staatsoper). Ich warte und plaudere soweit so gut. Nun also Akt II, angekündigt „in Wohnzimmeratmosphäre“. Fürwahr es liegen Polster aus und Menschen machen es sich bequem. Doch dann: „Die apokalyptische Glühbirne“. Krasse Hörguckoper. Regie: Leonhard Koppelmann. Komposition Texte Zeichnungen nein kakophonische Visionen von Witzel. Schönberg? Dix? Bosch? Escher? Tim Burton? Witzel. Walter Moers der bittersten Illusionen. Alles tut weh. Es zieht im Wohnzimmer. Ich lese Baspar Kelchior Malthasar. Irrlichternder Humor. Hart auf der Kante des möglichen Absturzes. Dessen, der ihn wahrzunehmen glaubt. Nahezu komplettüberfordert. Der Sog ist enorm. Abrechnung wie bei Tarantinos Inglourious Basterds. Völlige Verabsurdung. Nazis. Wegschließapparat. Patente auf Apparate des absurden Theaters. Gałczyński? Nein natürlich nicht absurd. Völlig anders verrückt: Frank Witzel. Hörspielnachtausklang à la Opéra: Audio voll in Szene gesetzt. Ebene hier und Ebene da und dort. Der eigene Kopf wird komplett in die Szene reingezogen. Ich will aber nicht da rein. Das ist mir die Ebene zu viel. Dreieinhalb Stunden. Cut.
UPDATE
Eine Nacht später: RAF-Terroristin Kette in Kreuzberg verhaftet. Was für ein Regieeinfall.
Foto: Staatstheater Stuttgart
Informationen zu „Dora“ finden Sie mit diesem Link. Die Uraufführung findet statt am 3. März; es folgen wenige weitere Aufführungen bis einschließlich 4. April.
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