Das SWR Vokalensemble mit Chefdirigent Yuval Weinberg (Foto: SWR/Klaus Mellenthin)
Kurzfristig ohne Publikum feierten das SWR Vokalensemble und sein Chefdirigent Yuval Weinberg eine „Nordische Weihnacht“ im Netz. Jürgen Hartmann saß vor dem Bildschirm.
In einem älteren Woody-Allen-Film gibt es einen Dialog zwischen Lektor und Autorin, der ins Zentrum aller künstlerischen Tätigkeit weist: „Sehr dicht“ sei der neue Roman, sagt Allen, und Anjelica Huston antwortet, ihr Text solle aber keinesfalls „zu transparent“ sein. Als Hörer des live aus der Sillenbucher Kirche St. Michael gestreamten Weihnachtskonzerts mit Yuval Weinberg und dem SWR Vokalensemble konnte man über diese Gratwanderung nachdenken, die es auch in der Musik zu bestehen gilt. Und zwar in doppelter Hinsicht: Die skandinavischen Komponist:innen dieser „Nordischen Weihnacht“ erreichten gewissermaßen eine dichte Transparenz, und ihre Interpreten taten es ihnen nach.
Kann man bei einem Dirigenten von persönlicher Handschrift sprechen? Jenseits unanfechtbarer Technik und eigentlich stets sichtbarer Freude an dem, was er tut, hat Weinberg jene Verbindung von Transparenz, Strahlkraft und Wärme, die der Chef des SWR Vokalensembles vor allem bei nordeuropäischen Chören kennen und schätzen gelernt hat, in diesem Konzert geradezu herbeigezaubert. Aus den überwiegend leisen Stücken des knappen Dutzends nordeuropäischer Komponist:innen entfaltete sich selten, dann aber umso eindrucksvoller ein volltönend kompakter Chorklang; ansonsten herrschten im kühl blauweiß ausgestalteten Ambiente auch akustisch raffinierte Schattierungen vor, die konzentriertes Zuhören erforderten.
Gesungen wurde wie gewohnt ohne Fehl und Tadel, unterstützt und mit eher braven Improvisationen flankiert von den Musikern Bjørn Kåre Odde (Hardangerfiedel), Espen Wensaas (Cither) und Mini Schulz (Kontrabass). Dass das eigentlich vorgesehene Publikum aus inzwischen allzu geläufigen Gründen kurzfristig wieder ausgeladen wurde, beförderte eine konzentrierte Studio-Atmosphäre, die vor allem den fließenden Übergängen im kleinteiligen Programm zugutekam. Höhepunkte waren das außerordentlich differenziert vorgetragene „Frid pa Jord“ der 1975 geborenen Sofia Karlsson und die kongeniale Überschreibung des Weihnachtslieds „Es ist ein Ros entsprungen“ durch Jan Sandström (Jahrgang 1954).
Bei aller Kunstfertigkeit und allem vokalen Anspruch wirken diese und das knappe Dutzend weiterer weihnachtlicher Werke niemals dogmatisch, sondern verbinden bruchlos traditionelle und zeitgenössische Perspektiven. Von dieser Lockerheit ließen sich Chor, Instrumentalisten und Dirigent hörbar inspirieren, gipfelnd in der kurzen, ein wenig verlegenen Ansprache von Yuval Weinberg gegen Ende: Ebenfalls ganz undogmatisch wünschte er uns zu Weihnachten nicht zuletzt „viele Kekse“.
Video on demand ab 17. Dezember: www.swr.de/swrclassic/
Schreiben Sie einen Kommentar