Giacomo Schmidt und Jong Sun Woo haben den Internationalen Wettbewerb für Liedkunst Stuttgart gewonnen. Jürgen Hartmann sprach mit dem Sänger und der Pianistin über das Liedgenre, über Vorbilder, über Probenarbeit – und die Zukunft des Liederabends.
Jürgen Hartmann: Wie kamen Sie zum Lied?
Giacomo Schmidt: Ich bin schon in der Schule damit in Berührung gekommen. Wir haben an der „Winterreise“ gearbeitet, uns Aufnahmen angehört und analysiert. Bei der Aufnahmeprüfung zum Schulmusik-Studium habe ich dann eben ein Lied aus der Winterreise gesungen. Einen Zugang dazu zu finden, fiel mir nicht schwer, es hat sich sehr natürlich angefühlt.
Jong Sun Woo: Meine Mutter wurde schon als Studentin in Korea mit Goethe und Schiller bekannt gemacht. Sie war vertraut mit all diesen Gedichten und ließ mich als Kind Gedichte und Geschichten schreiben. Am Konservatorium war es dann ganz folgerichtig für mich, die Verbindung zur Dichtung herzustellen, durch das Genre Lied. Es war, als hätte ich meine Nische gefunden, in der Verbindung von Dichtung und Musik.
Jürgen Hartmann: Welche Rolle hat das Liedgenre in Ihrer Ausbildung gespielt?
Jong Sun Woo: Es war nicht sehr wichtig, und im Rückblick finde ich das ärgerlich. Wenn man sehr früh Klavier lernte, war Lied kein Thema, außer wenn man sich darauf spezialisieren wollte. Am Konservatorium ist man doch sehr aufs Solospiel fokussiert.
Giacomo Schmidt: Ich habe in Köln angefangen zu studieren und dort wird es hochgeschätzt. Es gibt sogar für Pianist:innen den Studiengang Liedgestaltung. Auch mein Professor hat viel Lied gemacht und somit habe ich selbst auch viel Lied gesungen, was für mich super war, auch weil vom Opernrepertoire am Anfang noch nicht viel in Frage kommt. An der UdK in Berlin gibt es keinen Studiengang für Lied als Angebot an Pianist:innen, dort muss man sich als Gesangsstudent jemanden für die Arbeit an Liedern suchen. Jetzt bin ich in Kopenhagen und hier wird noch deutlich weniger gemacht. Der Umgang mit der Sprache, die Auseinandersetzung mit den Texten, ist nicht so intensiv.
Jürgen Hartmann: Es gibt viele berühmte Paare im Liedgenre, die über Jahrzehnte zusammengearbeitet und viele wichtige Aufnahmen veröffentlicht haben. Haben Sie Vorbilder? Wie würden Sie Ihren eigenen, gewissermaßen modernen Zugang zum Repertoire beschreiben?
Jong Sun Woo: Da gibt es so viele besondere Kooperationen. Ich liebe Graham Johnson und Felicity Lott! Ich glaube nicht, dass wir bewusst modern sein wollen. Wenn wir uns selbst treu sind, sind wir modern, denn wir sind nun mal jung. Im Lied geht es um menschliche Gefühle und Beziehungen, das ist heute so nachvollziehbar wie früher. Auch heute werden Herzen gebrochen, auch heute steht der Mond am Himmel. Giacomo und ich sind auch außerhalb der Musik gute Freunde. Ich erlebte Felicity Lott und Graham Johnson bei einer Feierlichkeit und es war so berührend, ihre Freundschaft zu spüren; die Liebe, die sie seit mehr als fünfzig Jahren füreinander empfinden. Eine Liebe, die aus der gemeinsamen Beschäftigung mit der Musik hervorgegangen ist. Das ist das Wichtigste. Ich glaube, das ist heutzutage gefährdet, weil jeder mit jedem spielt. Ich hoffe, dass die Vertrautheit, die bei langjährigen Liedpaaren entsteht, dadurch nicht verloren geht. Ich fürchte, das könnte der Grund für das Aussterben des Lieds sein. Liedgestaltung basiert auf der Vertrautheit der Ausführenden und ist nicht einfach nur ein Produkt, das man verkaufen kann.
Jürgen Hartmann: Wie proben Sie? Wie oft sehen Sie sich, haben Sie feste Arbeitsphasen?
Jong Sun Woo: Wir versuchen, uns einmal monatlich zu treffen, abwechselnd in Kopenhagen und in London, wo ich lebe. Ja, wie proben wir? Eigentlich „proben“ wir gar nicht.
Giacomo Schmidt: Das ist mehr, als ob wir die Lieder kosten und herausfinden, wie sie sind.
Jong Sun Woo: Es ist wichtiger für uns, etwas gemeinsam zu erspüren. Wir sprechen viel über die Lieder, ich frage Giacomo oft, ob er die Lieder auch schauspielerisch darstellen kann, wir vergewissern uns, ob sich alles richtig anfühlt. Wir sind wie zwei spielende Kinder!
Jürgen Hartmann: Glauben Sie an die Zukunft der Gattung?
Giacomo Schmidt: Es ist ein schwieriges Thema. Es gibt natürlich viele Interpretationen, gerade Aufnahmen, die etwas altmodisch sind. Ich glaube schon, dass das auch uninteressant sein kann …
Jong Sun Woo: Es muss eine Frage der Bildung sein! Junge Freunde von mir, die selbst keine Musik machen, kommen zu den Konzerten und nie hat jemand gesagt, es sei langweilig gewesen. Eher wundern sie sich, dass sie gar nicht wussten, dass es Liederabende gibt! Und das hat doch mit früher Bildung zu tun. Pierre Boulez wurde gefragt, ob zeitgenössische Musik elitär sei, bejahte und ergänzte, dass die Elite dann eben so zahlreich wie möglich sein müsse. Das gilt auch für das Lied. Deshalb sollten vielleicht nicht Kunst und Künstler sich verändern, sondern die allgemeine Bildung!
Foto: Internationale Hugo-Wolf-Akademie, Reiner Pfisterer. Die Antworten von Jong Sun Woo wurden aus dem Englischen übersetzt.
Der Wettbewerb wird alle zwei Jahre von der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie ausgerichtet. Das Preisträgerkonzert am 26. Januar beginnt um 17.00 Uhr im Weißen Saal des Neuen Schlosses Stuttgart. Der Titel des Programms ist „Mondnacht“; es enthält Lieder von Franz Schubert, Johannes Brahms, Henri Mancini, Robert Schumann u. a. Mehr Infos und Link zum Ticketverkauf unter https://www.ihwa.de/programme.
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