Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Die Klassikszene ist nun offen für Bearbeitungen

Andreas N. Tarkmann, Foto: Dan Hannen

Andreas N. Tarkmann ist nicht nur ein erfolgreicher Komponist, sondern auch als Arrangeur und Orchestrator gefragt, also im traditionsreichen Metier der Bearbeitung. Dabei wird sowohl verkleinert als auch vergrößert: Tarkmann hat beispielsweise Orchesterwerke für Bläserensemble eingerichtet oder Klavierlieder orchestriert. Jürgen Hartmann hat mit ihm gesprochen.

Jürgen Hartmann: Gibt es für Bearbeitungen seitens der Auftraggeber:innen eher künstlerische oder eher pragmatische Gründe?
 
Andreas N. Tarkmann: Meistens sind die Gründe für einen Arrangierauftrag eine Mischung aus beidem. Natürlich bestellen Ensembles, die in einer besonderen oder seltenen Besetzung spielen, Bearbeitungen bei mir, um überhaupt ein Repertoire aufbauen zu können. Daneben gibt es auch rein künstlerische Gründe für einen Bearbeitungsauftrag, wenn zum Beispiel der Auftraggeber meint, dass ein Klavierlied in einer orchestrierten Fassung ein musikalischer Gewinn wäre. Letztlich ist jeder Auftrag in seinen Umständen und Ansprüchen anders gelagert, was meine Tätigkeit besonders interessant macht.
 
Jürgen Hartmann: Sind die speziell auf einen Anlass zugeschnittenen Bearbeitungen denn auch repertoiretauglich, werden sie also nachgespielt?
 
Andreas N. Tarkmann: Je spezieller die Besetzung ist, desto weniger hat die Bearbeitung eine Chance, nachgespielt zu werden. Und je besser die Partitur auf eine ungewöhnliche Besetzung zugeschnitten ist, desto schwerer lässt sich so ein Arrangement nachträglich wieder umarbeiten. Hier muss ich als Bearbeiter mitunter ökonomisch denken. So haben sich meine Harmoniemusikbearbeitungen für das klassische Bläseroktett beziehungsweise -nonett weltweit durchgesetzt, weil sie das Repertoire dieser Ensembles stark erweitern.
 
Jürgen Hartmann: Würden Sie sich aus künstlerischen Gründen einer Bearbeitung auch mal verweigern?
 
Andreas N. Tarkmann: Ja, natürlich. Es gibt Werke, die sich aufgrund ihrer klanglichen Konzeption verweigern. Holsts „Planeten“ als Vorbild aller symphonischen Filmmusiken verträgt meiner Meinung nach keine Reduktion. Auch gibt es in der Klaviermusik der Romantik Werke, die sich technisch und klanglich kaum übertragen lassen. Ich praktiziere das Arrangieren inzwischen fast fünfzig Jahre – da ist meine langjährige Erfahrung in diesen Dingen eine große Hilfe.
 
Jürgen Hartmann: Werden Ihre Bearbeitungen eher innerhalb traditioneller Konzerte aufgeführt oder gab es auch Aufführungen in ungewöhnlichem Rahmen?
 
Andreas N. Tarkmann: Nun bin ich ein klassisch ausgebildeter Musiker und werde eher für Aufführungsbedingungen in einem traditionellen Rahmen gefragt. Hier stecke ich zwar ein großes Gebiet von Oper, Schauspiel, Kleinkunst und Chanson, Kammerkonzerte, Konzerte mit pädagogischem Anspruch et cetera ab, doch sind das alles keine Aufführungen in ungewöhnlichem Rahmen. Dies scheint mir eher ein Experimentierfeld der jüngeren Komponistenszene zu sein, in der auch die neuen digitalen Audio- und Videomöglichkeiten einbezogen werden. Andererseits ist es aber erstaunlich, wie offen sich jetzt die sogenannte Klassikszene gegenüber Bearbeitungen verhält. Das war noch vor einigen Jahrzehnten, also in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, viel schwieriger und voller Ressentiments. Da bin ich ja ein Pionier, der gezeigt hat, wie interessant und überzeugend gut gemachte Bearbeitungen klingen können.
 
www.tarkmann.com


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Balance aus Pracht und Maß
    Mit dem Kammerchor und dem Barockorchester Stuttgart hat Frieder Bernius erneut eine Messe und weitere Werke von Jan Dismas Zelenka auf CD herausgebracht. Susanne Benda ist hellauf begeistert.
  • 200 gut singende Leute als Basis
    Der Schweizer Komponist Klaus Huber wäre am 30. November 2024 einhundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass gibt es in der Bad Cannstatter „Musik am 13.“ Hubers Werk „Sonne der Gerechtigkeit“. Die Kesseltöne haben den künstlerischen Leiter Jörg-Hannes Hahn dazu befragt.
  • Das Herbsträtsel: Wer schrieb das?
    Sie waren mehr als Freunde, mehr als Vertraute, mehr als Verbündete und mehr als Liebhaber. Wenn Beziehungen ein Puzzle sind, dann war ihres von Anfang an vollständig.
  • Die Kesseltöne lesen: Die große Versuchung
    Weil zwei Konzerte abgesagt wurden, haben Ute Harbusch und Petra Heinze den jüngsten Roman des peruanischen Literaturnobelpreisträgers Mario Vargas Llosa gelesen. Wäre Live-Musik ergiebiger gewesen?
  • Stehenbleiben wäre unkreativ
    In „Goldbergs Traum“ verbindet das Stuttgarter Kammerorchester Bachs Goldberg-Variationen nicht nur mit zeitgenössischen Kompositionen, sondern auch mit Künstlicher Intelligenz. Jürgen Hartmann sprach darüber mit SKO-Intendant und Initiator Markus Korselt.