Die Online-Kulturzeitung für Stuttgart und Umgebung


Foto von Jörg-Hannes Hahn

200 gut singende Leute als Basis

Der Schweizer Komponist Klaus Huber wäre am 30. November 2024 einhundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass gibt es in der Bad Cannstatter „Musik am 13.“ Hubers Werk „Sonne der Gerechtigkeit“. Die Kesseltöne haben den künstlerischen Leiter Jörg-Hannes Hahn dazu befragt.

Jürgen Hartmann: Warum wurde „Sonne der Gerechtigkeit“ seit der Uraufführung vor 45 Jahren nicht mehr gespielt?

Jörg-Hannes Hahn: Klaus Huber war Pragmatiker. Für dieses Werk hat  er geschaut, was es im Uraufführungsort an Musikschaffenden gibt. Und in Riehen bei Basel gab es offenbar einen sauguten Posaunenchor oder ein Bläserensemble mit 14 Leuten. Die Musik ist nämlich keine typische Posaunenchorliteratur, sondern die Leute mussten richtig gut spielen können – es sind sogar Vierteltöne dabei. In dieser ganz kleinen Kirche in Riehen sang damals die Gemeinde mit, und Huber hat die Texte auf die dortigen Pfarrer und vielleicht auch Ehrenamtler verteilt. Huber hat „Sonne der Gerechtigkeit“ nie einem Verlag gegeben und es gibt nur die handschriftliche Partitur, die in seinen Unterlagen verblieben ist. Die war als musikalisch gestalteter Gottesdienst gedacht, also nicht für das normale Konzertleben vorgesehen, mit dem man ja eine breite Wirkung anstrebt. Huber hat sein Werk vielleicht wirklich nur für diese eine Aufführung in einem Abendgottesdienst vorgesehen und wohl nie an eine Veröffentlichung gedacht. Leider Gottes habe ich das eigentliche Libretto in der Paul-Sacher-Stiftung nicht gefunden, zwar sieht man große Teile des Textes in der Partitur und in Papier-Fragmenten. Aber es war eben nicht vollständig – dies war ein wesentlicher Grund für die Entscheidung, dass ich einen ganz neuen Text schreiben lassen wollte – und musste! Außerdem wäre es meiner Meinung nach museal gewesen, die damaligen Texte aufführen zu lassen, Texte über den Vietnam-Krieg und die Stationierung von SS20-Raketen haben heute nicht mehr dieselbe Bedeutung wie früher.

Jürgen Hartmann: Wodurch zeichnet sich diese Neubearbeitung aus?

Jörg-Hannes Hahn: Das Problem war: Wen frage ich nach neuen Texten? Ich hatte dazu einige Gespräche im Vorfeld und habe mich dafür entschieden, Eberhard Schwarz zu fragen. Er war damals noch Pfarrer an der Hospitalkirche hier in Stuttgart. Er ist ein sehr kluger, belesener Mann, der viel in der Erwachsenenbildung tätig war und in verschiedenen Gremien mit mir zusammengearbeitet hat. Zufällig wurde er Ende März pensioniert – er war also frei und willig für unser Projekt – und er hat sich dann wirklich tiefgehend mit der Sache befasst. Große Teile des Textes hat er selbst geschrieben, aber auch Texte anderer Autoren mit hineingenommen, so dass wir jetzt wirklich ein gelungenes, tolles Libretto vorliegen haben. Zusammen mit der Musik wird dies eine knappe Stunde ausfüllen.

Jürgen Hartmann: Wieviel davon ist Musik, wieviel Text?

Jörg-Hannes Hahn: Ich würde sagen, etwa halb-halb! Bezüglich der Anzahl der Bläser haben wir aus Kostengründen die Besetzung insgesamt etwas reduziert. Es gibt nun neun Blechbläser, also fehlt ein bisschen etwas bei den Clustern. Aber der Schalldruck ist noch groß; bei fünf Posaunen und vier Trompeten kommt schon was rüber! Die von Huber vorgesehenen zwei Schlagzeuger bleiben, das Schlagzeug ist teilweise im Raum verteilt, dann kommen die vier Sprecher wie vorgesehen dazu, ein Bariton-Solist und ein Organist. Die Gemeinde darf, nein, sie muss eigentlich mitsingen. Relativ viel Anteil macht das Lied „Sonne der Gerechtigkeit“ aus, aber nicht mit der in Deutschland bekannten Melodie, sondern Huber hat hier die Melodie aus dem Schweizer Gesangbuch verwendet. Es erscheint mal einstimmig, mal vierstimmig, mal mit Gemeinde, mal ohne. Die Gemeinde muss zwischendurch auch sprechen, rufen und schreien! Es ist schon etwas Besonderes, was Huber in den 1970er Jahren seiner Gemeinde zugemutet hat. Es wirken ja der Bachchor und der Philharmonia Chor mit – und wir haben als Unterstützung für die Singende Gemeinde noch weitere Chöre aus dem Kirchenkreis Stuttgart eingeladen. So weiß ich, dass ungefähr 200 gut singende Leute an diesem Abend auf jeden Fall da sein werden, als klangliche Basis gerade auch für die Rundfunkaufnahme. Natürlich sollen weitere Konzertbesucher mitwirken, aber die wissen noch nichts davon, dass sie auch singen und sprechen müssen!

Jürgen Hartmann: Einige wissen es jetzt! „Sonne der Gerechtigkeit“ – der Titel klingt zeitlos politisch. Führst du das Stück aus einem aktuellen Grund gerade jetzt auf?

Jörg-Hannes Hahn: Unser neuer Text ist zeitlos, dennoch gehen die Texte unter die Haut und wer sensibel ist, versteht, dass es da um Krieg, Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung – und Mitmenschlichkeit geht. Es werden viele Themen der Zeit angesprochen, ohne dass der Text in fünf Jahren schon überholt wäre. Wir sprechen keine aktuellen Konflikte oder Kriege direkt an. Klaus Huber aber war ein sehr kritischer und politischer Zeitgenosse, er wollte etwas für die Umwelt tun, auch das hat er in den Text eingepflegt, ganz vorausschauend. Das findet sich auch im neuen Libretto wieder, ohne ganz konkret für 2024 benannt zu sein.

Jürgen Hartmann: In Bad Cannstatt ist es ein Abendkonzert, wenige Tage später erklingt das Werk im Bremer Dom in gleicher instrumentaler und solistischer Besetzung, aber mit anderen Chören im Rahmen eines Gottesdienstes. Es geht also beides?

Jörg-Hannes Hahn: Dafür gibt es ganz praktische Gründe. Die Musik am 13. ist auf andere Weise finanziert, das kann ich tatsächlich nicht in einen Gottesdienst übertragen, und separate Zuschüsse gäbe es dafür nicht. Da sind die Zuschussgeber ganz streng: Gottesdienst ist Sache der Gemeinde und wird nicht gefördert. Wenn Du mir einen Sponsor mit 10.000 Euro gefunden hättest, wäre die Aufführung in einem Gottesdienst wohl möglich gewesen. Aber Musik am 13. ist ja eine geistliche Reihe und da hat dieses von Huber als „funktionale Musik für einen Gottesdienst“ bezeichnete Werk natürlich gut seinen Platz! Und bei uns wird es dann auch einige kurze liturgische Teile geben. In Bremen liegt die Sache ganz anders, sie führen dieses Werk tatsächlich in einem Sonntagmorgen-Gottesdienst auf. Aber der Geist Gottes weht, wo er will, im Gottesdienst, im Konzert und überall!

Foto: Viktor Brigola

„Sonne der Gerechtigkeit“ ist in der Lutherkirche in Stuttgart-Bad Cannstatt am Mittwoch, 13. November um 20 Uhr zu hören. Die Aufführung im Bremer Dom ist am Sonntag, 17. November, 10 Uhr. Die Aufzeichnung des Stuttgarter Konzerts wird am 16. Dezember um 21.05 Uhr im Deutschlandfunk in der Sendung Musik-Panorama gesendet . Weitere Infos zum Konzert unter www.musik-am-13.de.


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Aktuelle Beiträge

  • Alte Liebe
    Zum ersten Mal in der 56-jährigen Geschichte der King’s Singers sitzt ein König auf dem britischen Thron. Holger Schneider ließ sich überzeugen, dass „die Königlichen“ ihren Namen wirklich noch verdienen.
  • Balance aus Pracht und Maß
    Mit dem Kammerchor und dem Barockorchester Stuttgart hat Frieder Bernius erneut eine Messe und weitere Werke von Jan Dismas Zelenka auf CD herausgebracht. Susanne Benda ist hellauf begeistert.
  • 200 gut singende Leute als Basis
    Der Schweizer Komponist Klaus Huber wäre am 30. November 2024 einhundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass gibt es in der Bad Cannstatter „Musik am 13.“ Hubers Werk „Sonne der Gerechtigkeit“. Die Kesseltöne haben den künstlerischen Leiter Jörg-Hannes Hahn dazu befragt.
  • Das Herbsträtsel: Wer schrieb das?
    Sie waren mehr als Freunde, mehr als Vertraute, mehr als Verbündete und mehr als Liebhaber. Wenn Beziehungen ein Puzzle sind, dann war ihres von Anfang an vollständig.
  • Die Kesseltöne lesen: Die große Versuchung
    Weil zwei Konzerte abgesagt wurden, haben Ute Harbusch und Petra Heinze den jüngsten Roman des peruanischen Literaturnobelpreisträgers Mario Vargas Llosa gelesen. Wäre Live-Musik ergiebiger gewesen?