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Endlich mal was anderes

Dreifache Premiere: Erstens die von „Once“ an der WLB Esslingen. Zweitens heißen die Kesseltöne unsere neue Autorin Angela Reinhardt so herzlich willkommen wie, drittens, die Sparte Musical.

Selbst 40 Jahre nach den Grundsatzdiskussionen über „Cats“ sind Musicals noch immer „Verblödungsmaschinen“ und Igittigitt im deutschen Feuilleton. Und das in Zeiten, wo sie die Operette gründlich aus den Spielplänen verdrängt haben und ein Viertel der Musiktheater-Aufführungen in den subventionierten Theatern ausmachen. Die Stuttgarter Theaterlandschaft sträubt sich bis heute hartnäckig gegen das, was in Hamburg oder Berlin passiert ist – dort hat sich neben den kommerziellen Musicaltheatern eine Subkultur mit frischen, frechen Stücken in der Off-Szene etabliert. Wie stark sich das Genre in den USA und London verändert hat, dringt bei uns schlicht nicht durch; dass die Möhringer Versionen von „Chicago“, „Wicked“, „Tina“ oder derzeit „Die Eiskönigin“ immerhin von starken, unabhängigen Frauen erzählen, geht beim Abhaken der üblichen Klischees wie Zahl der Glühlämpchen oder B-Promis in der Premiere gern unter. Welche Inhalte da eigentlich gezeigt werden, interessiert beim Musical per se nicht, könnte man meinen.

Dabei gibt es ganze Reihen brandaktueller Stücke über Schul-Mobbing, Rassismus, Depressionen oder LGBTQ-Themen: meist kleinformatige Werke mit minimalem Ausstattungsaufwand, die statt Eskapismus Menschen von heute mit Problemen von heute zu Musik von heute zeigen. Man könnte grelle Gesellschafts- oder Religionssatiren wie „Pinkelstadt“ und „The Book of Mormon“ spielen, die Auswahl herausfordernder Stücke reicht von „Dear Evan Hansen“ über „Fun Home“ oder „Come From Away“ bis hin zum tieftraurigen „Fast Normal” über eine manisch-depressive Frau und das Leid ihrer Familie. Die Stuttgarter Schauspielbühnen haben sich, obwohl sie mit dem Alten Schauspielhaus die ideale Szene für Kammermusicals hätten, auf nette Unterhaltung und Revuen kapriziert, und das Staatstheater spielt Musicals nur dann, wenn sich ein berühmter Regisseur wie Calixto Bieito daran reiben will. Der sucht sich natürlich einen bekannten Klassiker wie „Cabaret“, nur um ihn kein bisschen interessanter zu inszenieren als er inzwischen auch am Broadway gezeigt wird.

Die Württembergische Landesbühne in Esslingen ist schon seit Jahren neugieriger als Stuttgart, etwa mit den Liedermacher-Abenden des kürzlich verstorbenen Heiner Kondschak oder den „Art Musicals“ von Tom Waits und Bob Wilson. Jetzt steht dort „Once“ auf dem Programm, die minimalistische Adaption des Independent-Films von 2007, in dem ein desillusionierter Straßenmusiker aus Dublin und eine klavierspielende Immigrantin aufeinandertreffen. Die beiden Hauptdarsteller Glen Hansard und Markéta Irglová hatten damals selbst ihre Filmsongs geschrieben, für das 2012 am Broadway herausgekommene Musical fügten sie noch ein paar dazu, ebenfalls im irischen Folkrock-Stil. Der Dramatiker Enda Walsh erweiterte das Drehbuch von John Carney, indem er Nebenfiguren wie die tschechischen Mitbewohner des Mädchens zu echten Charakteren erweiterte. Sie setzte Regisseur Andreas Kloos als schräge, exzentrische Mitmenschen in Szene, die das Musical durchaus fröhlicher machen als den nur manchmal lächelnden Film.

„Typ“ und „Mädchen“ bleiben im Musical ebenso namenlos wie im Film. Der Straßenmusiker will sich am Anfang tatsächlich umbringen, weil ihn seine Freundin verlassen hat, weil die Karriere stagniert und er deshalb wieder bei seinem Vater wohnt, wo er Staubsauger repariert. Die Fremde mit dem Akzent bringt ihren kaputten Hoover-Sauger vorbei, nervt ihn mit hartnäckigen Fragen, gibt seinem Song einen Text und organisiert für ihn, als wäre es nichts, einen Termin im Aufnahmestudio. Die flehenden, starken Liebeslieder, die er für die verlorene Freundin geschrieben hatte, singt er ganz allmählich für das fremde Mädchen. Sie erwidert seine Liebe, sagt es ihm aber nie (oder nur auf Tschechisch, was er nicht versteht), bestärkt ihn stattdessen darin, nach New York zur Verflossenen zu fliegen. Was wie eine verpasste Chance klingt, ist auch eine ungemein positive Geschichte, in der die Verlierer am Rand der Gesellschaft sich finden und beistehen – vor allem mit Musik, denn in den irisch oder tschechisch hüpfenden Rhythmen, in den jazzigen Sessions finden sie sich alle, sie trösten und verbinden.

Was die Aufführung zu einer veritablen Überraschung und einem wirklich tollen Abend macht, ist das Ensemble der WLB, das sich durchweg selbst begleitet (auch das ist übrigens ein Konzept, das am Broadway und im Londoner West End bereits mehrfach erprobt wurde) und auch mal a cappella singt. Jede und jeder spielt hier ein Instrument, manche bis zu fünf – Akustikgitarren, Streicher, Banjo, Melodica, E-Bass oder Percussion. Vielleicht nicht immer in philharmonischer Perfektion, aber mit so viel guter Laune, so entspannt und begeistert, dass die Songs sofort ins Ohr gehen und sich festsetzen. Einer davon hat damals den Oscar als bester Filmsong gewonnen: „Falling Slowly“ erklingt hier wie alle Lieder auf Deutsch, in einfachen und eindringlichen Worten übersetzt von Sabine Ruflair. Das Ensemble aus Markus Michalik, Oliver Moumouris, Gesine Hannemann, Franziska Theiner, Daniel Großkämper, Florian Anger und Anna-Lena Stephan umgibt die beiden Hauptpersonen mit Wärme, Ärger, Staunen, Eifersucht, Humor und vor allem großer Liebe zur Musik. Leander Mangelsdorf hat alles großartig arrangiert und einstudiert.

Felix Jeiter singt die meisten der Lieder und zeigt mit seiner starken Liedermacherstimme einen resignierten Verlierer, der staunend den Glauben an sein Talent und an die Musik wiederfindet. Das Mädchen ist verschlossener, Feline Zimmermann verbirgt die tiefen Gefühle hinter einem zuversichtlichen, strahlenden Äußeren, ihre ganze Wehmut erklingt in der schönen Ballade „Dunkel“. Am Ende sitzen beide weit entfernt am äußersten Rand der Bühne, wissen eigentlich, dass sie sich lieben, und trennen sich doch. „Once“ blickt wie sein vieldeutiger Titel hoffnungsvoll in die Zukunft und melancholisch zurück auf das, was wir an Großartigem im Leben verpasst haben.

Foto: Patrick Pfeiffer für WLB

Weitere Vorstellungen am 20. und 31. Dezember sowie 2025.
Württembergische Landesbühne Esslingen


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