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Wie war’s beim „Wunschkonzert“ des Podiums Esslingen?

Lesezeit: 3 Minuten

Es ging um Erinnerungen. Das „Wunschkonzert“ des Podiums Esslingen bot keine Ansammlung von Greatest Hits, sondern ein durchdachtes dramaturgisches Konzept. Ute Harbusch ist dabei gewesen und erzählte Petra Heinze, ob es aufging.

Petra Heinze: Liebe Ute, unter ‚Wunschkonzert‘ stellt sich vermutlich jeder etwas anderes vor. Was war das beim Podium Esslingen für ein Format?

Ute Harbusch: Es nannte sich ein ‚mit Esslinger:innen ko-kuratiertes Konzert. Vier der acht Stücke hatten sich Menschen gewünscht, weil sie ihnen viel bedeuten. Die vier anderen waren originale Werke für Geige und Klavier von Komponistinnen unserer Zeit und vom Podium-Team ergänzt. Sie stellten Verbindungen und einen emotionalen Hallraum für die Wunschmusiken her. Das waren ein Orchesterstück von Sibelius, Popsongs von den Bläck Föös und von Calexico sowie ein Volkslied. Nasti hat sie arrangiert und, selbst meist am Klavier, mit dem Geiger und künstlerischen Leiter Joosten Ellée interpretiert. Dazwischen sprach die Dramaturgin Joëlle Lieser mit den vier Wünschenden. Und hinterher waren wir zu gemeinsamen Gesprächen bei Glühwein und Lebkuchen geladen.

Petra Heinze: Was kamen da für Geschichten zum Vorschein? Erzählst Du mir eine?

Ute Harbusch: Alle Geschichten hatten mit Erinnerungen zu tun. Mit starken, berührenden Momenten von früher, die im Wieder- und Wiederhören der Musik aufgehoben sind. ‚Traurige Musik macht nicht trauriger, sondern sie unterstützt uns beim Durchleben der Gefühle‘, sagte Jessica Priziwarra (Bild). Enrico Bosecke wünschte sich das plattdeutsche Volkslied ‚Dat du min Leevsten büst‘, das er in der DDR in Jugend- und Armee-Chören gesungen hatte. Es eigne sich sowohl zum Marschieren, wie auch als Schlaflied für seine Tochter. Doch am stärksten in Erinnerung geblieben sind ihm die leuchtenden Augen der Altersheim-Bewohner:innen, denen sie das Lied damals vorsangen. Sie weckten damit deren eigene Erinnerungen auf.   

Petra Heinze: Haben denn die Wunschlieder zu der zeitgenössischen Musik gepasst und wie gefielen Dir die Musiker:innen?

Ute Harbusch: Wie natürlich fügte sich alles zu einem Bogen. Wir hörten die Musik aufgrund der Gespräche vor allem im Hinblick auf ihren Ausdrucksgehalt. Dadurch wirkten auch die Originalkompositionen von Kaija Saariaho, Nastasia Khrustcheva, Sofia Gubaidulina und Lili Boulanger stärker, so als hätten sie sich mit den Erinnerungen und Erlebnissen der Menschen angesteckt. Die beiden Musiker:innen haben all diese Charakterstücke mitreißend, virtuos und ausdrucksstark interpretiert, das große Gefühl nicht gescheut, aber ihre Kunst nie darüber vergessen. Sie waren wunderbar aufeinander eingestimmt und beide haben sogar gesungen! Ganz zauberhaft und vielseitig waren Nastis Arrangements: Klavier solo bei Sibelius, zarte Untermalung durch Tamburin, Ukulele, Glockenspiel und Melodica beim Volkslied.

Petra Heinze: Das Podium ist ja bekannt dafür, junge Menschen für klassische Musik zu begeistern. War das hier auch so?

Ute Harbusch: Viele junge Menschen waren nicht dabei an diesem Sonntagvormittag im Alten Esslinger Rathaus. Die ‚Wunschkonzerte‘ sind aber definitiv ein Format, um Menschen für Musik zu begeistern. Sogar für die klassische.

Fotos: Ute Harbusch (Titel) und Johannes Berger


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